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Bierfahrer Maik

Bierfahrer Maik

Bierfahrer Maik war in den Achtzigern ein solcher, heute repariert der gelernte Landmaschinenschlosser Autos. Mit 18 hatte er sich bei Sachsen-Bräu als Kraftfahrer beworben. „Die haben immer Leute gesucht und damals schon Leistungslohn gezahlt, je mehr du ausgeliefert hast, desto mehr hast du verdient!“ Und Sachsen-Bräu nahm den jungen Lindenauer, der während seiner Lehre kurz vor Delitzsch sämtliche Führerscheinklassen erworben hatte („Das war Teil der Ausbildung“), nun aber zurück in die Stadt wollte, mit Kusshand.

Im Werk 2 in der Philipp-Müller-Straße (heute Zschochersche Straße) belud er LKWs der Marken W50, L60, S4000, LO und H6, meist mit ein, zwei Hängern oder als Sattelschlepper, per Hand. Zu der Zeit waren Beifahrer noch üblich, also wuchtete man zu zweit bis zu 700 Holzbierkästen auf die Ladeflächen. „Das ging um halb sechs los, um sieben fuhren wir raus und waren dann den ganzen Tag unterwegs.“

Maik belieferte vor allem Kaufhallen, Kneipen und Kommissionshändler in Lindenau, Leutzsch und Grünau, das sich zu der Zeit größtenteils im Bau befand, brachte das Bier aber auch nach Gohlis, Knauthain und Markkleeberg sowie in eine Lager- und Verteilstelle nach Hopfgarten (!) bei Geithain. Das Getränkekombinat war schließlich für den gesamten Bezirk Leipzig zuständig und Sachsen-Bräu der leitende Betrieb. Werk 1 befand sich in der Mühlstraße (heute Sternburg), Werk 3 war die „Limobude“ in der Georg-Schumann-Straße (heute Kaufland).

Maik fuhr damals mit Reinhold, einem Lindenauer wie er, der allerdings ’89 über Ungarn verschwand. Dorthin, wo Trinkgeld lockte, ging es bevorzugt, in den Kneipen bekamen sie nicht selten sogar noch ein Essen zum Trinkgeld. Und an der letzten Station, bei Gartenlokalwirtin Elke in Zschocher, gaben sich die Bierfahrer manchmal die Kante. Dann übernachteten sie im Gastraum und steuerten am nächsten Morgen direkt von dort die Brauerei an.

Wenn das Bier bei Sachsen-Bräu alle war, rollten Tankwagen zu Stadt- und Turm-Bräu oder zu Sternburg nach Lützschena, um Ware zu holen und anschließend unter eigenen Etiketten abzufüllen. Manchmal waren auch die Etiketten alle. Maik sagt: „Alle haben alles an alle geliefert, wenn Bedarf bestand, wir waren ja ein Getränkekombinat!“

Die Krönung für ihn, Reinhold und Kollegen stellten angesichts solcher Praktiken Experten dar, die meinten, angebliche Unterschiede zwischen Leipziger Bieren erkennen zu können („Das schmeck ich sofort!“). Auch das seinerzeit übliche Verschmähen der grünen Flaschen bezeichnet Maik als „Blödsinn“.

In der Philipp-Müller-Straße wurde Ende der 1980er Jahre ein neues Sudhaus gebaut – „von den Tschechen!“, aber nie in Betrieb genommen. Denn kurz nach der Wende schloss das Werk 2, die Beschäftigten wurden entlassen – „die Leitung saß ja im Werk 1“. Maik und die anderen trafen sich zur Abschiedsfete im Nat’l. Der Abend war „furchtbar, da haben alle geheult“. Die von uns abgebildeten Fotos stammen von einer ungleich fröhlicheren Brigadefeier im Neu-Brasilien, von einer Brigadefeier mit Frauen, „aber viele hatten nicht ihre eigenen dabei“.

Maik, der in der Karl-Heine-Straße 100 aufgewachsen ist und seinerzeit die Helmholtzschule besuchte, wohnt nach wie vor in Lindenau. Die Gartenlokale Nat’l und Neu-Brasilien existieren bis heute, nur das Werk 2 von Sachsen-Bräu ragt gegenwärtig lediglich als Ruine in den Himmel von Plagwitz (in der Zschocherschen Straße 79; ein aktuelles Foto findet Ihr in unserem Beitrag „Liste Leipziger Brauereien“ vom November 2015 unter Plagwitz, Brauerei Naumann).

Nachtrag 1: Rudolf Urbanek kommentierte diesen Beitrag auf unserer Facebook-Seite mit folgenden Worten: „Hab mehrere Male als Schüler bei Sachsenbräu mein Taschengeld mit Ferienjobs stark aufgewertet. War echt so, wie beschrieben.“

Nachtrag 2: Tom schrieb uns auf Facebook: „Sachsenbräu und Sternburg … da fällt mir gerade eine Geschichte ein (Voraberklärung – ich war damals in einer Kaufhalle tätig): Es begab sich dereinst (~1981), dass dem Betrieb Sachsenbräu des VEB Getränkekombinat in Reudnitz die Etiketten für sein Premium-Pils ‚Spezial‘ (EVP 1,28 M) ausgingen. Justamente kam man auf die glorreiche Idee, den Betrieb Sternburg des VEB Getränkekombinat in Schkeuditz um Hilfe zu bitten, sozialismus-untypisch, unbürokratisch und schnell. Es geschah also (jaja, die Bibel grüßt), und so erschienen plötzlich und unerwartet die Bierkutscher des VEB Getränkekombinat BT Sachsenbräu mit ihrem W50, wohlgefüllt mit ‚Sternburg Export‘ (ebenfalls 1,28 M), welches zu DDR-Zeiten als Goldstaub galt und selbstredend weitaus beliebter war als das ‚Spezi‘ von Sachsenbräu. Wir haben in dieser Woche sehr, sehr viel Bier verkauft …“ Danke, Tom! Tolle Anekdote und Bestätigung für Maiks Bericht!