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Schonne widder Grünau

Schonne widder Grünau

Schonne widder Grünau? Ja. Denn nicht nur im Jahr des 40jährigen Bestehens, sondern auch schon 2010, 1988 und 1986 wurde gedrucktes Material über das Neubaugebiet im Westen der Stadt herausgegeben.

„Grünau zeigt Profil“ steht in weißer Schrift auf weißem Grund auf dem 2010er Material. Weiß auf weiß? Kein Witz, die Schrift ist erhaben, sie zeigt Profil – ah, zwinker, zwinker, Zaunspfahlwinker! Die Agentur Frohe Zukunft Export (Konzeption, Text, Gestaltung), das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ (Finanzierung) sowie das Quartiersmanagement Grünau im Amt für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung der Stadt Leipzig (Koordination) versuchen sich in der zeitgemäß aufgemachten Broschüre an Öffentlichkeitsarbeit.

Farbige Fotos, ausgesuchte statistische Daten und Marketing-/Propaganda-Überschriften wollen ein positives Bild vermitteln. „Grünau lebt von seinen Bürgern“, „Grünau lebt grün“, „Man wohnt in Grünau“ oder „Von Grünau lernen“, „Grünau genießt den Sommer“, „Grünau weiß zu feiern“  – solche Sprüche wären auch 30 Jahre früher problemlos durchgegangen.

Formulierungen wie „Bildungsketten geschlossen halten, Übergänge erleichtern und so die Bildungslebensläufe in Grünau optimal gestalten“ verraten den administrativen Hintergrund unserer Zeit. Haltet die Bildungsketten geschlossen! Bibliotheken in Grünau werden als „Schatzkammern des Wissens“ bezeichnet, die Max-Klinger-Schule als „Kreativer Jungbrunnen mit Profil“ – das ist übertrieben bis lächerlich.

Unter die Fünf Ziele für die Zukunft am Ende der verschiedenen Abschnitte sind entweder Füllziele geraten – man musste auf fünf kommen – oder die Verantwortlichen haben bereits im Vorhinein aufgegeben. Wie sonst erklärt sich solches Nullwachstum: „Qualitäten bestehender Grünstrukturen und Naherholungsgebiete erhalten“, „Dialog zwischen den Unternehmen der Wohnungswirtschaft, Stadtverwaltung und den kommunalen Versorgen aufrecht erhalten“ oder „Zusammenarbeit und Qualifizierung der Einrichtungen im Campus Grünau verstetigen“. Erhalten, erhalten, verstetigen – ist das Zukunft mit Profil oder Zukunft ohne Ziel?

Da nahm der Rat des Stadtbezirkes West der Stadt Leipzig 1986 das Maul etwas voller, als er ein Büchlein unter dem Titel „Neubaugebiet Leipzig-Grünau 1976-1986“ drucken und verteilen ließ. „Zum Zeitpunkt des zehnjährigen Jubiläums der Grundsteinlegung für Leipzig-Grünau haben ca. 90 000 Bürger in 35 000 Neubauwohnungen ein neues Zuhause. Im Jahre 1987 werden die letzten der über 37 000 zu bauenden Wohnungen an die Bürger übergeben.“

„Ein wichtiges gesellschaftliches Anliegen besteht darin, dass die Grünauer von all dem neu Geschaffenen Besitz ergreifen und ihren Beitrag zur Erhaltung und Pflege leisten, damit sie hier Glück, Freude und Erholung finden“, lesen wir und setzen in Gedanken den oben erwähnten Slogan „Grünau lebt von seinen Bürgern“ darüber.

Auch im DDR-Propagandamaterial sehen wir Bilder von Häusern und Leuten, Kindern und Springbrunnen, Musikern und Banddurchschneidern – allerdings in schwarzweiß. Ebenso räkeln sich Sprachungetüme, wie sie nur in Büros von Verwaltungen verwendet werden: „Funktionsunterlagerungen“ zum Beispiel, gemeint sind Ladenstraßen in den Erdgeschossen hoher Häuser, „Volkswirtschaftliche Masseninitiative“, „die weitere Entwicklung der massenpolitischen Arbeit“, „Bauschaffende“ und „Wohnkomplex“.

Zur Bebilderung unserer Zeilen radelten wir durch den Stadtteil mit Potenzial und entdeckten in der Jupiterstraße die Gartensparte Grüne Aue. Eine klasse Idee, wenngleich die Resonanz noch verhalten scheint. Außerdem gab es gegenüber von Klee und Kolossos ein Wiedersehen mit dem unseres Wissens nach letzten betriebenen Zeitungskiosk in dieser einstmals typischen Formgebung (siehe auch unseren Beitrag „Die Letzten ihrer Art“ vom Januar 2014).