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Der fabelhafte Stadtkalender

Der fabelhafte Stadtkalender
Kleine Träumerei am Lindenauer Markt
Kleine Träumerei am Lindenauer Markt

Anke Hartmanns Laden „Kleine Träumerei“ am Lindenauer Markt (Adresse: Rietschelstraße 2) wird am 21. Oktober 2014 ein Jahr alt. Wir haben vorher mal reingeschaut und den Stadtfabelkalender 2015 (12 Euro) mitgenommen. Fabel, Fabel? Das waren doch diese Sinngeschichten, in denen Tiere die Positionen der Menschen besetzten und sich stellvertretend für diese dumm, gierig, schlau oder edel benahmen.

Stimmt, aber ganz so wie im Literaturunterricht ist es bei Anke nicht. Dafür treiben sich ihre menschlichen Tiere in Leipzig herum! Ein Business-Hase steht an einer Haltestelle der LVB, ein Dachs und der Käptn von Lindenau prosten sich zu und das verliebte Paar Hirsch schaut in der Abendsonne vom Fockeberg. Esel, Ente und Biber bewegen sich als Teilnehmer am Straßenverkehr vor der Silhouette unserer Stadt, mehrere Rentnertiere prüfen auf dem Lindenauer Markt die Angebote, während Hahn und Igel als Punks auf einem Mauervorsprung sitzen und die Lage der Welt im Allgemeinen und Speziellen besprechen.

Das Ehepaar Bock-Schaf (aus Schleußig?) hält zwei Wolfskinder an der Hand, Hund und Katze spielen gemeinsam im Sandkasten und das Goahörnchen tanzt unbeschwert. Mit Fotoapparat und Stoffbeutel zieht der Hipster-Fuchs durchs Viertel, zu Pfingsten führen die Wave-Gotik-Füchse in Begleitung eines Romantik-Elefantchens ihre schönen Kleider aus und schließlich landen alle zusammen auf dem Dezemberblatt.

Anke hat vor Jahren bereits einen Kalender gemacht. „Dilettantisch“, sagt sie, sie hatte damals einige Tage vergessen. Das war ihr so peinlich, dass sie die Arbeit an Kalendern bis auf Weiteres einstellte. Dann aber kam eine Kundin in den Laden und fragte, wann es denn endlich mal wieder einen neuen Kalender von ihr gäbe, der alte sei so schön, hänge nun aber schon eine Weile …

In der Rietschelstraße 2 saß bis 1990 der Rat des Stadtbezirkes West und in der wirklich kleinen „Kleinen Träumerei“ bis dahin wahrscheinlich der Pförtner. Architekt des schönen und großen Eckgebäudes am Lindenauer Markt (inklusive der benachbarten und heute vom Theater der Jungen Welt genutzten ehemaligen Gaststätte „Grüne Eiche“ in der Demmeringstraße) war Paul Möbius, erbaut wurde es 1906. „Schwesterhaus“ ist die nicht weit entfernte Merseburger Straße 90*, ein gutes Buch zum Thema der 2007 in München erschienene Band „Paul Möbius – Jugendstil in Leipzig“.

* siehe unseren Beitrag „Alte Werbung IV“ (Dezember 2013)