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Bäcker und Schriftsteller

Bäcker und Schriftsteller

Michael Schweßinger stammt aus Waischenfeld in der Fränkischen Schweiz. 2006 machte er sich mit dem Überraschungs-Bestseller „In Darkest Leipzig – Über die seltsamen Sitten und Gebräuche der Lindenauer“ einen Namen in der Literatur- und Lesebühnenszene. Vor wenigen Wochen erschien „In Buxtehude ist noch Platz“. Mit diesem Buch ist der Bäcker, Schriftsteller und neuerdings Zeitzer am 14. Dezember in der Gohliser Galerie Artae zu erleben. Wir trafen ihn am Hauptbahnhof …

Du bist vor 17 Jahren zum Studieren nach Leipzig gekommen und hast hier Deine ersten Bücher geschrieben. Wann und warum bist Du dann doch wieder Bäcker geworden?
Ich hatte von 2002 bis 2009 in Leipzig und Halle Afrikanistik und Ethnologie studiert. Das war für mich eine wunderbare Erfahrung, gerade die Ethnologie in Halle mit dem Max-Planck-Institut war geistig einfach eine tolle Herausforderung und hat auch mein Denken und Schreiben nachhaltig beeinflusst. Ich war allerdings nie der Typ, mich durch dieses universitäre System zu kämpfen. Es gab damals in Leipzig so viele Afrikanisten für viel zu wenige Stellen danach. Ich wollte reisen und die Welt entdecken, allerdings nicht mit diesem bürokratischen Aufwand, auch war mir das Ganze dann irgendwann zu abstrakt. Es gab ein akademisches Afrika und ein Afrika, das man bereiste, die Schnittmenge war nicht so groß. Irgendwann stand ich vor dem Kopierer und blickte auf Berge von Texten für das neue Semester und fand diesen abstrakten Wissenskonsum absurd, Texte, die wieder auf Texte verwiesen, ein Irrgarten von Wissen, und bin dann einfach gegangen und hab wieder angefangen Brot zu backen. Fand einen Job in einer Bio-Bäckerei in Plagwitz, das hat meinen Geist wieder etwas geerdet, und so halte ich es noch heute, also in dieser Ambivalenz von geistiger Arbeit am Wortwerk und körperlicher Arbeit am Brot. Das Wissen um das Brotbacken hat mir dann auch viele Länder erschlossen.

Zuletzt warst Du laut Deiner Neuerscheinung „In Buxtehude ist noch Platz“ u.a. in Finnland, Irland und Rumänien. Bäckst Du dort eigentlich deutsches Brot oder nach Landessitte?
Die Stories sind in den letzten Jahren auf meinen Reisen durch Europa entstanden. Also das mischt sich, jedes Land beschenkt einen ja mit Erfahrung und Kultur. In Irland haben wir viel Soda-Bread gebacken, in Bukarest war die Maxime, ’ne deutsche Handwerksbäckerei aufzubauen, also sind dort die Rezepte sehr deutsch, auf Sauerteig basierende Brote, Laugengebäck, Stollen, traditioneller als die meisten deutschen Bäckereien mit ihren Fertigmixen. Dazu einige Brote, die mir bei meinen Reisen durch Siebenbürgen untergekommen sind. Finnland hat eine lange Tradition in Roggenbroten, leider ist die im Schwinden und man findet dort kaum mehr Handwerksbäckereien, nur noch Supermarktware. Meistens versuche ich, wenn möglich aus den jeweiligen Backtraditionen zu schöpfen und daraus neue Rezepte zu kreieren. Ein Brot ist ja immer genuin einzigartig, also der Sauerteig in Bukarest erzeugt mit deutschem Mehl einen völlig anderen Geschmack als in Deutschland. Das ist faszinierend.

Oh ja, so klingt es. Eine ahnungslose Nachfrage: Was ist Soda-Bread?
Soda-Bread ist ein Brot, das mit Buttermilch und Weizenvollkornmehl hergestellt wird und mit Natriumbicarbonat gelockert wird, anstelle von Hefe.

Mittlerweile bist Du mit Frau und Kind nach Zeitz gezogen. Welche Läden, Aktivitäten und Sehenswürdigkeiten empfiehlst Du aus Leipzig kommenden Besuchern dieser Stadt?
Von Leipzig nach Zeitz ist eine Zeitreise. Ich dachte immer, ich hätte im Osten gelebt, aber die Jahre in Leipzig sind nicht zu vergleichen mit Zeitz. Es ist ein rougheres Pflaster mit langsameren Uhren. Man sieht vielen Menschen das Leben ins Gesicht geschrieben. Es ist nicht dieses junge, vitale Leipzig, das ist schon manchmal herb. Aber ich mag den Menschenschlag hier und die Freundlichkeit der Leute, dieses Ungehetzte. Manchmal erinnert mich Zeitz an die frühen Jahre in Leipzig, als auch jeder sagte, Leipzig ist nicht schön und zu abgefuckt, obwohl es tausend Dinge zu entdecken gab. Ich mochte immer diese Bruchstellen, diese Gesamtatmosphäre. Mir sind da nicht die Sehenswürdigkeiten wichtig, eher die Nebellandschaften der Elster im Herbst oder die vielen kleinen Gassen, wo sich immer was entdecken lässt und natürlich dieser weite Raum in vielerlei Hinsicht. Ich habe das Gefühl, wieder Luft zum Atmen und Denken zu haben. Wenn ich mit meinem Sohn unterwegs bin, dann kann er eben einfach durch die Fußgängerzone laufen. Ich glaube, es ist wirklich die Weite, die mir hier sehr behagt und ohne die Schreiben für mich auch nicht möglich ist. Eher ein Gefühl als etwas, dass sich an einzelnen Gebäuden festmachen lässt. Dann natürlich das Kunsthaus, in dem wir ja monatlich unsere Reihe „Wort & Klang“ veranstalten und immer Musiker und Bands vorstellen. Das alles erzeugt eine Atmosphäre, in der viel passieren kann, aber nicht muss. Dieses Gefühl würde ich vielleicht Besuchern vermitteln, die Schönheit des Antitainment, wenn man so will.

Am 14. Dezember 2019 liest Du in Leipzig, in der Galerie Artae in der Gohliser Straße 3. Wie viele Leute passen da rein? Du bringst bestimmt Dein Buxtehude-Buch mit sowie einen weiteren Michael …
In die Galerie Artae passen so knapp 50 Leute rein, würde ich sagen. Eine Reservierung über die Homepage ist zu empfehlen, weil die Veranstaltungen dort meistens recht voll sind. Es ist ein sehr schöner Ort. Ich finde diese atmosphärische Stimmigkeit immer sehr wichtig für eine Lesung. Ich lese da zusammen mit Michael Bittner* aus Berlin, der als Soziologe eine andere Perspektive auf die Gesellschaft wirft, während ja meine Texte oftmals sehr subjektive Beobachtungen sind, der Versuch, das Einzelwesen in den Mittelpunkt der Betrachtung zu rücken. Das ergänzt sich sehr gut. Wir haben im letzten Jahr schon zusammen gelesen, es war ein wunderbarer Abend mit reichlich fränkischem Bier und vielen Diskussionen.

* siehe unseren Beitrag „Training in der Wärmehalle“ (Oktober 2013)

Nachtrag am 14.12.2019: Das war lustig, schön und gut mit den beiden Michaels in der Galerie Artae. Außerdem gab es Linsensuppe! Das nächste Mal kommen wir mit leereren Mägen …