Im Jahre 1992 wurden die Leipziger Stadtteile neu sortiert, damals ging Reudnitz der historische Ortskern verloren, er gehört seitdem zu Neustadt-Neuschönefeld. Wir wollen dieses ursprüngliche Reudnitz mit diesem Beitrag vor dem Vergessen bewahren und hier wieder ans Licht bringen.
Reudnitz entstand am Rande des fruchtbaren Rietzschketals an der heutigen Kohlgartenstraße und ist slawischen Ursprungs. Erstmals nachweislich erwähnt wurde es im Jahr 1248. Rudny bedeutet Urbarmachung, Rodung und Roitschka Bach – so steht es in Otto Mosers 1890 erschienener „Chronik von Reudnitz“, aus der wir nachfolgend hin und wieder zitieren.
Tietschendorf (auch Tutzschendorf u.ä.) war die benachbarte deutsche Siedlung, deren – von oben gesehen – auffällige Bootsform sich bis heute erhalten hat. Zu erkennen ist sie auf Stadtplänen und Satellitenaufnahmen im Bereich zwischen Dresdner und Kapellenstraße sowie der Kreuzung Breite / Wurzner Straße und dem Platz der ehemaligen Markuskirche.
Zeitweise gab es noch Kohlgart(en) als dritte Ansiedlung auf späterer Reudnitzer Flur. Im ältesten Band des Leipziger „Rathsbuches“, der von 1531 bis 1544 geführt wurde, sind alle drei separat genannt – die Stadt hatte Reudnitz 1525 von privat gekauft.
1992 wurden dem alten Dorf und seit 1890 Leipziger Stadtteil bedeutende Teile abgezwackt, z.B. die Kohlgartenstraße und Umgebung – unsensibel. Das Reudnitzer Rathaus stünde, wenn es noch stünde, heute auf Neustadt-Neuschönefelder Gebiet, nördlich des Stephaniplatzes an der Dresdner Straße.
Verrückte Sache: Die Sparkasse Reudnitz, die Apotheke Reudnitz und auch Reudnitzer Reisen befinden sich heutzutage gar nicht in Reudnitz, der Platz, auf dem die Markuskirche von Reudnitz stand (Straßenbahnhaltestelle Koehlerstraße), ebenfalls nicht. Und die Reudnitzer Straße führt seit 1992 nicht mehr nach Reudnitz, das jedoch ist der ursprüngliche Sinn solcher Straßennamen.
Im Wikipedia-Eintrag zum einstmals berühmten Reudnitzer Ausflugslokal (Großer) Kuchengarten lesen wir in dem Zusammenhang: „Die Grenzstraße hieß so, da sie die Flurgrenze zwischen der Stadt Leipzig und dem Dorf Reudnitz bildete. Der historische Kuchengarten lag aber schon auf Reudnitzer Flur. Die Straße behielt ihren Namen, bis sie zur vierspurigen Bundesstraße 6 ausgebaut und zur Ludwig-Erhard-Straße wurde. Das Areal des gesamten Kuchengartens – den Nutzgarten inbegriffen – ist in etwa mit dem Geviert zwischen Kohlgartenstraße (früher die Dorfstraße von Reudnitz), Klasingstraße, Kreuzstraße und Grenzstraße (heute Ludwig-Erhard-Straße) zu umreißen.“
Fazit: Das alte Zentrum ist Reudnitz verlustig gegangen. Was könnten wir nun heute als das Zentrum des Stadtteils bezeichnen? Kartografischer Favorit ist der Lene-Voigt-Park, er liegt in der Mitte des von Gerichtsweg, Prager Straße, Stötteritzer Straße, Bahnlinie, Oststraße, Riebeckstraße, Breiter Straße und Dresdner Straße begrenzten Gebiets.
Ebenso zentral liegt der Täubchenweg, „sogenannt nach dem uralten Wirthshause ‚Zum Täubchen‘ (im Dorf Anger), das seinen Namen von einer lieblichen, blonden Wirthstochter erhalten haben soll“. Als Zentrum weiterhin in Frage kommen das Reudnitz-Center (!) im ehemaligen Straßenbahnhof sowie die Brauerei zwischen Ost- und Mühlstraße. Was meint Ihr?
(Ein gemeinschaftlicher Beitrag von wortblende und Geheimtipp Leipzig, Karten und Panoramafoto: Harald Stein)
Nachtrag: Auf dem Sächsischen Meilenblatt von 1802 ist Norden nicht automatisch oben. Zur Orientierung: Der Kirchweg (heute: Hermann-Liebmann-Straße) am V von „Volckmarsdorf“ weist in Richtung Norden. Das historische Reudnitz mit seinen Siedlungen lag nördlich der Dresdner Chaussee, das heutige Reudnitz-Thonberg liegt nur noch südlich der Dresdner Straße.