Wer könnte das sein? Im Sommer hatte ein Stötteritzer Sammler diese Frage an uns herangetragen. Es ging um die abgebildete Figur des Leipziger Bildhauers Adolf Lehnert (1862-1948), sie ist von 1898 und stellt sehr wahrscheinlich eine Persönlichkeit aus unserer Stadt dar, einen Mann, der in der Lage war, ein solches Statussymbol vermutlich in Auftrag zu geben und zu bezahlen. Wir reichten die Frage auf Facebook an unser Publikum weiter und stellten sie darüber hinaus in der Facebook-Gruppe „Leipzig – Geschichte und Geschichten“.
Daniela und Ute tippten spontan auf Karl Heine, dessen Denkmal (von Lehnerts Kollegen Carl Seffner geschaffen) recht ähnlich aussieht, ebenso wie das für Otto von Bismarck (von Lehnert), wie Thomas richtig bemerkte. Thomas, Heike und Norbert erkannten in dem Gesuchten den Königlich Sächsischen Kommerzienrat Johann Carl Gustav Herrmann (1845-1895), für dessen Grab auf dem Neuen Johannisfriedhof Lehnert ein Porträtmedaillon angefertigt hatte. Bernd schloss sich den Dreien an, nicht ohne vorauszuschicken, dass er zuerst an Karl Krause gedacht hätte, sich aber auch ein Selbstporträt Lehnerts vorstellen könnte.
„Es ist doch erstaunlich“, fasste der uneitle Sammler seine Freude in Worte, „was alles für Tipps zusammengekommen sind, auch wenn ich eher das Gefühl habe, dass die Figur ihr Identitätsgeheimnis noch nicht so ganz verloren hat. Die Suche, nein, sagen wir die Geduld geht weiter! Ich konnte im Netz allerhand Seiten finden, wo Leipziger Persönlichkeiten aus dem Unternehmertum, den Verlagen der damaligen Zeit usw. usf. mit Lichtbild aufgeführt sind, aber ich hatte nirgends das Gefühl, jemanden zweifelsfrei zuordnen zu können.“
Schön wäre gewesen, hätten wir hier alle zusammen eine eindeutige Darstellung Karl Krauses gefunden, des Großindustriellen aus Anger-Crottendorf, gern auch eine des mehrfach vorgeschlagenen Kommerzienrats Herrmann, wobei der heute weniger prominent ist. Aber so bleibt es spannend und wir befassen uns mit einem vielbeschäftigten Künstler und dessen Werken (schaut Euch die umfangreiche Aufzählung bei Wikipedia an), u.a. ist das Schreber-Hauschild-Denkmal und das für Louise Otto-Peters von ihm, er porträtierte Bleichert, Wustmann, Seffner, Roßbach und viele mehr.
In Claus Uhlrichs empfehlenswertem Buch „Majestät hatten sich die Beine gebrochen (… und andere Geschichten über Leipziger Denkmale und Plastiken)“ lesen wir von Lehnert und dem Bismarckdenkmal, für dessen Entstehung auch Leipzigs Oberbürgermeister Dr. Georgi* zu Spenden aufgerufen hatte. Der Bildhauer weihte die auf den Augustusplatz gestellte erste Fassung persönlich ein, indem er am 31. März 1895 um Mitternacht unter Hochrufen die verhüllende Leinwand entfernte.
Uhlrich zitiert einen wortgewaltigen Bericht der Leipziger Neuesten Nachrichten, nennt den zweiten beteiligten Künstler Josef Mágr und auch den zweiten Standort des Bismarckdenkmals im Johannapark, ab 18. Oktober 1897. An dieser Stelle steht heut Clara Zetkin. Im Buch wird Lehnert noch mindestens zweimal erwähnt, einmal im Zusammenhang mit dem Gregory-Gedenkstein und dann als Schöpfer einer Büste des Eisenbahnpioniers Friedrich List. Darüber hinaus zeigt auf Seite 89 ein betagtes Fotodokument den gestürzten Bismarck am Eingang zum Park.
Nicht vergessen, wenn es um Adolf Lehnert geht, dürfen wir das Gutenberg-Standbild in der Gutenberghalle des Buchgewerbehauses**. Unser Sammler schickte ein Abbild dieser Porträtskulptur von 1900, gegossen bei Noack & Brückner in Leipzig, deren Höhe circa 41,5 Zentimeter beträgt. Und er erklärt: „Das ist sozusagen die Salonausführung des Gutenbergdenkmals im Deutschen Buchgewerbehaus, welches eine stattliche Höhe von drei Metern hatte.“
Zuguterletzt dürfen wir ein Schriftstück präsentieren, auf dem der Leipziger Künstler einst über sich notierte: „Lehnert, Adolf Bildhauer Professor. In Leipzig am 20. VII. 1862 geb. Daselbst Realschule 1880 mit Abiturientenex. verlassen. Studierte Akad. Leipzig 1880-86 (Lehrer M. zur Strassen). 1886-87 in Rom / Seit 1896 Lehrer dieser Akad. / Hauptwerke Fries im Thür. Hofe in Leipzig 1889 / Kriegerdenkmal Rochlitz 1897. Bismarckdenkmal Leipzig 1897. Hirschgruppe Jagdschloss Hummelshain in Th. 1898. Marktbrunnen zu Roda St. 1900. 3 Marmorreliefs über das Leben Lebensvers. Bank Gotha 1908 / Nicht die Wirkung, sondern die Liebe zur Arbeit macht unser Glück aus. A. Lehnert“
So weit, so gut, jetzt schicken wir einen herzlichen Dank nach Stötteritz, warten den Eingang von weiteren Antworten auf die oben gestellte Frage ab und verraten, dass Ihr die von Lehnert unter seine Hauptwerke eingeordneten Reliefs in Gotha (Bahnhofstraße 3a) nach wie vor besichtigen könnt. Sie sind erhalten geblieben und werden bei Wikipedia unter der Überschrift „Stufen des Lebens“ besprochen.
* siehe unseren Beitrag „Georgi vom Georgiring“ (Dezember 2020)
** siehe unseren Beitrag „100 Jahre Bugra“ (September 2013)
Nachtrag am 31.12.2023: Ein weiterer Tipp ist eingegangen, bei dem Dargestellten könnte es sich um den Geheimrat Prof. Dr. Karl Lamprecht handeln, Rektor der Leipziger Universität, von dem Max Klinger 1915 eine Radierung angefertigt hat.