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Gautschpanne in der Gautschwanne

Gautschpanne in der Gautschwanne

Das Internet weiß, Gautschen ist ein bis ins 16. Jahrhundert rückverfolgbarer Buchdruckerbrauch, bei dem ein Lehrling nach bestandener Abschlussprüfung im Rahmen einer Freisprechzeremonie in einem Bottich untergetaucht und/oder auf einen nassen Schwamm gesetzt wird. Der Begriff „gautschen“ kommt von den Gautschern, das waren bis ins 19. Jahrhundert Lumpensammler und Papierhersteller. Heute macht man Papier aus Holz. In der Sprache des Alltags haben sich die Begriffe Haderlump und Lumpensack erhalten.

In Leipzig wurden ewige Zeiten lang viele Lehrlinge des grafischen Gewerbes gegautscht, nicht nur Buchdrucker. Zwei Schriftschneider hatten 1960 ausgelernt, sie wussten durch ihre Vorgänger von der Sache. „In eine  Wanne sollten wir eingetaucht werden“, erinnert sich Peter. „Die stand schon morgens auf dem Fabrikhof, gut einsehbar von der Toilette im Erdgeschoss.

Diese Wanne wollten wir beide noch schnell entleeren. Dabei bemerkten wir, dass das Wasser darin warm war. Selbstverständlich blieb unsere Aktion den anderen nicht verborgen. Sie füllten das Wasser nach, diesmal aber eiskalt – wie wir gleich am eigenen Leib bemerken sollten. Selbst schuld!

In der Werkstatt wurden wir gepackt und auf den Hof vor die Wanne geführt, tüchtig untergetaucht und freigesprochen, also zu Gesellen. Nach dem Gautschen erhielten wir die neue Arbeitsbekleidung und spendierten unseren Kollegen je eine Flasche Bier. Dem Zeremoniell wohnten allerhand Zuschauer bei. Eine Zuneigung zum Beruf konnte ich meines unruhigen Naturells wegen trotzdem nicht entwickeln, 1967 gab ich die Schriftschneiderei auf.“

Den Gautschbrief aus dem VEB Typoart, Betriebsteil Leipzig (der zweitletzten Schriftgießerei der DDR), gab Peter all die Jahre über glücklicherweise nicht ins Altpapier, weswegen wir ihn hier nun zeigen können. 2003 erneuerten seine Stammtischfreundinnen und -freunde die alte Taufe sogar und stellten einen zweiten Gautschbrief aus. Das nennen wir gelebte Traditionspflege!

Herzlichen Dank an Peter für diese leipzigspezifischen Erinnerungen!

siehe auch unsere Beiträge „Vom wohl ältesten Stammtisch der Jetztzeit I-III“ (Februar und März 2023) sowie zur schwarzen Kunst „Paris-Platte und Schweizer Degen“ (März 2023)