Bei Reinhard in Thekla konnten wir dieses historische Schild fotografieren. Im 1906 erschienenen Buch „Leipzig und die Leipziger – Leute, Dinge, Sitten, Winke“ lasen wir dazu: „Leipziger Preßhefefabriken. Machen auch Kornbranntwein und Liköre. Beinahnationalgetränk.“ Wir würden gern mehr darüber erfahren. Wo genau befand sich die Fabrik? Bis wann produzierte sie? Unter welchen Namen wurden die Mockauer Spirituosen gehandelt?
Das posteten wir vor einigen Tagen auf unserer Facebook-Seite und bekamen viele interessante Antworten von Euch. „Die ‚Hefe‘ war in der Mockauer Straße 80 zwischen Gontardweg und der heutigen Spetlakstraße“, wusste Tobias und schob nach: „Da ist jetzt ein Wohngebiet.“ „Die Hefehöfe?“, scherzten wir und erfuhren von Andreas, dass der Spitzname stattdessen Holzhausen 2 laute, wegen der Holzhäuser dort. Andreas teilte außerdem mit, dass „im verwahrlosten Hefe-Verwaltungsgebäude jetzt eine sechsköpfige Waschbärenfamilie“ wohnt. Was, das Verwaltungsgebäude steht noch? Wir mussten nach Mockau und fotografieren! „Ja, es steht noch“, erklärte Andreas. „Die Fläche zwischen der Mockauer Straße und den Reihenhäusern der Spetlakstraße soll auch bebaut werden, dann fällt das Gebäude.“
Als wir es schließlich fotografiert hatten, zweifelten wir, es sah für uns nicht richtig alt aus. Sven brachte Licht ins Dunkel. „Die Firma gab es doch nach der Wende noch eine Weile, vielleicht wurde da nochmal etwas Neues gebaut oder umgebaut“, warf er ein. Auf jeden Fall hatte er von 1986 bis 89 regelmäßig die Hefe von da in der Hand – aus dem VEB Backhefe. „Mein Lehrmeister kannte auch noch den alten Namen“, so Sven. „Da fuhr man zu Union, wenn’s mal nicht gereicht hat. Sahne wurde übrigens im Milchhof geholt …“ Der befand sich, wenn wir uns richtig erinnern, am Hauptbahnhof.
Schließlich stellte Andreas klar: „Das Verwaltungsgebäude der Hefe ist Anfang der 90er Jahre neu gebaut worden. Ich hatte damals auch noch zwei Automatiktüren eingebaut.“ Und Tom informierte uns darüber, dass sich die Immobilie im Besitz der Stadt Leipzig befinde. „Anfragen von Interessenten ergaben eine exorbitante Preisvorstellung seitens der Stadt. Man lässt die Immobilie also lieber bewusst verfallen, als den Zustand dieser Schmuddelecke direkt an der Mockauer zu verbessern.“
Reinhard, bei dem wir das besagte Schild entdeckt hatten, erinnerte sich an Kindertage: „Bei der Hefeproduktion fiel Alkohol an und wurde spektakulär mit der Dampflok wöchentlich im Kesselwagen abgeholt. Dazu wurde die Mockauer Straße von einem Eisenbahner mit Fahne gesperrt, der Verkehr kam erstmal zum Erliegen. Ich versuchte als Mutprobe möglichst dicht an der schnaufenden Lok zu stehen. Die üblichen Verdächtigen aus der Kneipe ‚Union‘ gegenüber sahen dem Kesselwagen wehmütig hinterher …“ Eine Kneipe namens Union gab es auch noch? „Ja, an der Ecke von Mockauer und Döringstraße“, bestätigt Reinhard, „freitags mit Musik vom Duo Musette. Legendär war Kellnerin Edith, ‚Editha muss beim Whiskey immer weinen …'“
Auch Tom hat die Kneipe mitsamt ihres Billardtischs im Gedächtnis. „Wir sind als Teenies dahin, weil’s da Zigaretten ohne dumme Fragen gab. Gleich daneben war eine Drogerie, privat. Alles weg.“ Dafür gibt es jetzt bei Fleischer Möllmer einen Wurstautomaten (einen solchen haben wir noch nie gesehen) und hinten in der Kieler Straße die gemütliche Kartoffelkneipe, auf deren Karte wir gleich noch etwas für uns völlig Neues fanden: Kartoffelpizza! Der Teig ist aus Kartoffelmus …
Zuguterletzt stellten wir die Frage, wann eigentlich das Mockauer Mörtelwerk von der Bildfläche verschwand? Auf Fotos aus dem Jahr 2016 steht es noch gegenüber des Backhefe-Geländes. 2018 wurde es abgerissen, meint Andreas sich zu entsinnen. Vielen Dank an ihn und alle anderen, die mitgeholfen und uns geschrieben haben!
Nachtrag im Juli 2021: Das gar nicht so alte Backhefe-Verwaltungsgebäude in der Mockauer Straße wird abgerissen.