Das mittlerweile komplett von wildem Grün verdeckte Kugeldenkmal am Leutzscher Bahnhof beschäftigt uns seit Jahren. Wen soll es ehren? Wer hat es aufgestellt? Ist es ein offizielles Denkmal oder vielleicht ein Spaß unter Kollegen? Vor einigen Tagen stellten wir dieses ungelöste Rätsel in der Facebook-Gruppe „Leipzig – Geschichte und Geschichten“ zur Diskussion und erfuhren lauter interessante Sachen. Ausgangspunkt der nun folgenden Überlegungen ist die Annahme, dass auf der Kugel in Leutzsch entweder die Jahreszahl 1982 oder aber die 1882 zu erkennen ist.
Thomas: „Kugeldenkmal am Leutzscher/Barnecker Bahnhof, an der Bahnstrecke Leipzig-Zeitz? Die Geschichte lautet wie folgt: ‚Am 21. Januar 1882 kam es zum Staatsvertrag zwischen Preußen, Bayern, Sachsen-Meiningen und Schwarzburg-Rudolstadt über eine Fortsetzung der Bahn von Eichicht über Probstzella an die bayrisch-meiningische Grenzer zustande und am 1. Oktober 1885 wurde dieses Verbindungsstück in Betrieb genommen.‘ Damit wurde die mehr als eineinhalb Jahrzehnte bestehende Lücke zwischen Eichicht (heute Ortsteil der Gemeinde Kaulsdorf) und der bayrischen Grenze (damals 17 km) geschlossen. Ich geh mal zu 98 % davon aus, das dieses schlichte Denkmal tatsächlich an den Staatsvertrag von 1882 erinnern soll.“
Helge: „Die Sache geht sogar weiter, 1882 hat die Preußische Staatsbahn die Thüringer Bahnen als solche übernommen. Allerdings bleibt die Frage, warum man dies im sächsischen Leutzsch/Barneck zelebrieren sollte. Ein anderer Gedanke wäre: 1882 wurde der Wasserturm des Bahnhofs fertiggestellt, und damit das letzte große Bauwerk des Ensembles. 1882 war quasi damit der Bahnhof vollendet.“
Thomas: „Nun ja, wie gesagt, 1882 wurde beschlossen, die Lücke zwischen Kaulsdorf und Bayern zu schließen – und der Leutzscher Bahnhof lag an der Strecke. Das Denkmal kann natürlich auch an die Übernahme der Bahn von den Preußischen Staatsbahnen oder auch an die Fertigstellung des Wasserturms erinnern. So 100%ig werden wir das nicht herausbekommen, deshalb schrieb ich ja auch ‚zu 98 %‘. Aber Fakt ist, es hat zu 100 % etwas mit dem Leutzscher Eisenbahnwesen zu tun. … Andererseits – dieses Denkmal erscheint mir für die bauliche Fertigstellung etwas mickrig, zumal die Jahreszahlen meist an den Wassertürmen selbst festgeschrieben worden.“
Helge: „Es gab in Leutzsch (Burgaue) auch noch ein anderes Kugeldenkmal, welches an den Besuch des sächsischen Königs Friedrich August I. am 18.05.1809 erinnert hat. Ist vielleicht dadurch inspiriert? … Irgendwo in der Burgaue Richtung Auensee gibt es auch heute noch einen Verweis auf die ‚Königseiche‘. Die 700jährige ‚Königseiche‘ wurde Opfer eines Sturms und 1923 gefällt … Wenn man sich ein wenig in das Thema einarbeitet, war das alte Denkmal an der ‚Königseiche‘ in seiner Zeit offensichtlich sehr bekannt und ein beliebtes Ausflugsziel in Leutzsch.“
Thomas: „Umso mehr ich mir die Bilder anschaue, desto mehr hab ich den Eindruck, dass dieses Denkmal gar nicht so alt ist, wie wir vermuten. Der Sockel sieht sehr nach DDR aus, auch die Murmel, die obenauf sitzt. Damals, kurz vor 1900 wurde alles mit einer gewissen Hingabe hergestellt, das Schöne sollte dem Auge schmeicheln. Was wir hier vor uns haben, sieht vom Stil her eher wie eine Panzersperre aus! … Von 1982 an wurde der Leutzscher Bahnhof zu einem ‚Eisenbahnbetriebsfeld Leipzig-Leutzsch für die Ausbildung in Betrieb‘ umgebaut – fertiggestellt 1983. Die Machart des Denkmals würde in den Zeitraum passen.“
Herzlichen Dank an Thomas, Helge und die ganze „Geschichte und Geschichten“-Truppe, die tagtäglich erstaunliche Leipzig-Bilder und -Kenntnisse austauscht. Zum Schluss haben wir hier noch eine schon etwas ältere Zuschrift zum Kugelrätsel von Gitta: „… da mein Mann früher Fan von Chemie Leipzig war, erinnert er sich, dass 1982 am Leutzscher Bahnhof ein Fan sicher versehentlich erschossen wurde (Polizei hatte wohl in die Luft geschossen, aber ein eventueller Querschläger hat ihn getroffen). Da auf dem Denkmal 1982 steht, könnte es damit in Verbindung stehen.“ Danke, Gitta!
Thomas ergänzte auf Facebook, dass es nicht 1982, sondern 1990 zu einem solchen Todesfall am Leutzscher Bahnhof kam,
siehe auch unseren Beitrag „Aktenzeichen L.E. ungelöst I“ vom Januar 2015