Vor beinahe 20 Jahren, im Februar 1996, machten wir am Berührungspunkt von Prager und Riebeckstraße ein paar Bilder* von einem verfallenden Betrieb der Bierproduktion. Damals wussten wir auch, ob es sich dabei um den einstigen Betriebsteil II von Stadt- oder Turm-Bräu handelte. Wir hatten es vergessen, dann aber im Netz Neunziger-Jahre-Bilder mit Bauer-Werbung gesehen, d.h., es muss Turm-Bräu gewesen sein.
Brauerei-Ausschank und Bräustübl Hopfenblüte prangte es von der Hauswand in Richtung Straßenbahnhaltestelle. Hier wurde nach der Wende offensichtlich noch getrunken, aber nicht mehr lange. Ende der 1990er Jahre verschwand der Komplex von der Bildfläche, heute befindet sich an Ort und Stelle eine wilde Grünfläche. Die zeigt auch Google Maps, während zum Beispiel der Leipziger Stadtplan von 1983 hier Bebauung ausweist.
Auf einer Garage im Hof stand GWL geschrieben (GWL = Gebäudewirtschaft Leipzig), an einer Tür wies ein Plasteschild auf die PGH Ideal hin und an der Holzvertäfelung im Gastraum klebte das Logo von Jägermeister, was auf die Nachwendenutzung schließen lässt, während die GWL- und PGH-Hinterlassenschaften zeigen, dass die Brauer schon vorher nicht alleine waren.
Ganz früher und auch im Adressbuch von 1949 noch führte das Anwesen den Namen Brauerei M.A. Offenhauer Leipzig-Thonberg. Das M dürfte der erste Buchstabe von Moritz sein, zur Brauerei gehörte auch eine Mälzerei, man war in der Reitzenhainer Straße 91-93 zu Hause. Später hieß die Straße Leninstraße, heute Prager Straße.
Zum Start unserer neuen Serie** „Aktenzeichen L.E. ungelöst“ stellen wir folgende Fragen ins allwissende Netz:
1) Hat jemand Ahnung, unter welcher Bezeichnung die Brauerei bis 1990 firmierte?
2) Verfügt jemand über Bilder aus der Zeit, in der der Betrieb noch Getränke herstellte?
3) Handelt es sich bei der PGH Ideal um die Produktionsgenossenschaft des lederverarbeitenden Handwerks „Ideal“ Leipzig-Süd?
* dummerweise ließen wir sie auf matt-genarbtem Fotopapier entwickeln, was heute das Scannen erschwert
** rückwirkend benannten wir unseren Beitrag „Kugeldenkmal und Milchtor“ vom Januar 2015 in deren Teil 1 um, da das Geheimnis des Kugeldenkmals am Bahnhof Leutzsch bislang nicht gelüftet wurde
Nachtrag 1: Die Kollegen von Dunkel Dreckig Reudnitz und Bier in Leipzig suchen auf ihren Facebook-Seiten mit. Wir danken herzlich!
Nachtrag 2: Kumpel Thomas erzählte uns von einer unerhörten Begebenheit in der „Zensi“, wie der Brauerei-Ausschank zu DDR-Zeiten wegen seiner bestimmenden Kellnerin genannt wurde (wir suchen aber weiterhin den Namen der Brauerei). Hier verkehrten Studenten und Bierfreunde aus den umliegenden Straßen. Ein Student und ein Anwohner wetteten, angespornt vom Alkoholkonsum um eine Flasche Schnaps, dass es der Student schaffe bzw. nicht schaffe, innerhalb einer bestimmten Zeit hier mit einem Pferd vorzureiten. Der Student der Tiermedizin holte sich aus der Tierklinik in der Zwickauer Straße das Vorführpferd Liese (Typ gutmütiges Brauereipferd), kam tatsächlich angeritten und gewann die Wette. Ein Tierarzt, der den Verlust bemerkt hatte und sich diesen nicht erklären konnte, informierte zwischenzeitlich die Polizei. Und während die suchte, brachte eine Studentin die Liese in den Stall zurück. Plötzlich war sie wieder da und alles in Ordnung.
Nachtrag 3: Wir konnten einen Kenner befragen, und der sagte: „Der Braubetrieb scheint spätestens in den 1920er Jahren eingestellt worden zu sein. Das hing möglicherweise mit dem Malzkontingent nach dem Ersten Weltkrieg oder der Weltwirtschaftskrise zusammen. Die Firma Offenhauer ist dann wohl 1953 – nach dem Tod der Witwe Offenhauer, die hier noch ein Kontor betrieb – im Handelsregister gelöscht worden. In der DDR gab es eine Hoffnung für das bereits baufällige Ensemble. Es gab Pläne einer kulturellen Nutzung, unter anderem als Brauereimuseum. Diese Pläne kamen nicht zur Ausführung.“
Da haben wir uns mit unserer Turm-Bräu-/Stadt-Bräu-Erinnerung wohl doch getäuscht (siehe oben). Immerhin bringt eine alte Rechnung (siehe unten) Offenhauer und Ulrich in einen Zusammenhang! Aber Moment mal, Gebr. Ulrich in Stötteritz? Das war ein eigener Betrieb, der hatte nichts mit F.A. Ulrich zu tun (siehe unsere Liste Leipziger Brauereien – November 2015).
Nachtrag 4: Bei uns sind weitere Hinweise eingetroffen. Die PGH Ideal ist im 1973er Fernsprechbuch (Telefonbuch) des Bezirks Leipzig auf Seite 256 wie folgt aufgeführt: „Lederverarbeitendes Handwerk Ideal, Leninstr. 111, Annahmest. Nikolaistr. 20/26“. Und im Telefonbuch von 1957 steht der Vorgänger: Edwin Blaschke Feintäschnerei. Danke, liebe Leser und Helfer!
Nachtrag 5: Auf www.kanalx.org findet Ihr einen Film („Prager Strasse in Leipzig, Winter 1991“), in dem die alte Brauerei gleich zu Beginn zu sehen ist.
Nachtrag 6: Im Schaufenster der Schleußiger Gaststätte „Zur Zwanzig“ (Industriestraße) sahen wir im Juli 2020 ein Werbeschild der Gebr. Ulrich.
siehe auch unsere Beiträge „Aktenzeichen L.E. ungelöst IIa“ (Mai 2015) und „Prager Straße 1992“ (Juli 2017)