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„Daphne, ich bin wütend“

Daphne, ich bin wütend

Bertram Reineckes neues Buch „Daphne, ich bin wütend“, verlegt vom Leipziger Poetenladen, vereint Primär- und Sekundärliteratur in einem Band, was heißen soll, dass der Autor seine Gedichte und deren Entstehung im umfangreichen Anhang gleich selbst erläutert. Reinecke ist ein Fachmann auf dem Gebiet, belesen, begeistert und handwerklich ohne Probleme in der Lage, von einer literarischen Epoche (Gattung, Sphäre, Szene) in die nächste zu springen und dabei immer den richtigen Ton zu treffen.

So montiert er u.a. Zeilen des italienischen Nationaldichters Dante zu einem neuen Text („Die Sprache“), lässt in „Abschied Abtnaundorf“ hiesige Enten in Gedankenschleifen schweifen („Was denkt man von der Welt, wenn man Tag für Tag / auf dem Wasser umherdümpelt?“) oder bringt mit seinen „Gartenfeuern“ ein geeignetes, weil gut zu verstehendes Gedicht für Lyrikeinsteiger. Doch, wie er im Anhang einräumt, ist vollständiges Verstehen überhaupt nicht notwendig – ähnlich wie bei Liedtexten, die uns oft viel mehr begeistern, wenn wir sie nicht komplett entschlüsseln können.

Zwei Zitate aus „Lyrica“ sind sehr verständlich (und trotzdem faszinierend):

„Die Ordnung ist einem ja lieber
man isst noch den letzten Keks aus der Packung
obwohl man längst keinen Appetit mehr hat.
Wie die römischen Priester aus den Vögeln die Zukunft
las ich als Kind aus dem Inneren meines Weckers die Mechanik der Uhr.“

„Die Verteidiger Gotlands sammelten sich
nachdem sie bereits geschlagen waren, nunmehr
reicher an schlechter Erfahrung nochmals und man schlug sie.
Sie flohen gen Visby, aber die Stadt verschloß ihre Tore
also stellten sie sich erneut und wurden zerrieben.
Die Toten müssen gar nicht erst totgeschwiegen werden
sie starben ja in ihren veralteten Rüstungen bereits
mit dem Rücken zur Wand.“

Etwas schwieriger wird es in „Nachtwachen“, dafür sehr stimmungsvoll:

„Durch meiner dichtung dämmerblaue fluten
Ward ich betört, gewann für andre die
Beobachtung, die ins epiphanische spielt
Der geisterstimmen dumpfe schlacht belauschend.“

Wenn Reinecke vorträgt, ebenso ernsthaft wie unterhaltsam, kann das Zuhören richtig Spaß machen. Der Schriftsteller wurde 1974 in Güstrow geboren, verbrachte Kindheit, Jugend und die Studienzeit (Philosophie, Germanistik) in Mecklenburg-Vorpommern, kam im Jahr 2000 wegen des Deutschen Literaturinstituts, an dem er später sogar unterrichtete, von Greifswald nach Leipzig, ist hier geblieben und wohnt in Eutritzsch. „Das Montieren von neuen Texten aus unveränderten Zeilen anderer Werke bildet das Herzstück meiner Arbeit“, erklärt er im Sekundärliteraturteil der Daphne.

Wir zitieren aus „Euböa – griechische feuer“:

„Alle dörfer, das ganze gebiet ist zerstört, alles
Was wir heute sagen können ist
Dass wir glück haben, am leben zu sein
Farakla, limni, murtia, kechris, daphne: ich bin wütend.
Ich habe mein zuhause verloren –
Alle dörfer, das ganze gebiet ist zerstört.“

… und nennen als Fazit einen passenden, im Buch enthaltenen Texttitel: „Die gedichte können nicht mehr schön sein, gelangt weinen auf das papier“.

Lesungen mit Bertram Reinecke:

21. März 2024, 14 Uhr, Buchmesse, MDR-Stand: „Neue Lyrik aus Mitteldeutschland / Mit Büchern unterwegs“ (soll auch ausgestrahlt werden)
21. März 2024, 15 Uhr, Buchmesse, Leseinsel Junge Verlage: „Himmel unter der Schrift“
21. März 2024, 20 Uhr, Galerie KUB, Kantstraße 18: „Lyrik-Empfehlungen“

siehe auch unsere Beiträge „Leere Container“ (Dezember 2017), „Vor der Buchmesse 3“ (März 2019) und „Dem Dichter auf den Leim gegangen“ (Februar 2022)