„Hallo, ich bin gestern auf ein Kleinod am Martin-Luther-Ring gegenüber der katholischen Kirche gestoßen. Laut Denkmalverzeichnis bei Wikipedia handelt es sich um eine unterirdische Bedürfnisanstalt von 1905. Von außen ist sie ganz verwunschen und umzäunt, nur ein gefliester Treppenabgang ist zu sehen. Kennt Ihr das? Wisst Ihr mehr darüber?“, fragte uns Marga (Rine) unlängst.
Und wir antworteten: „Hallo Marga, ja, das Kleinod kennen wir, finden es ebenso verwunschen wie Du und wissen leider auch nicht mehr darüber. Wir können aber mal auf unserer Facebook-Seite danach fragen.“ Aus der Versenkung holten wir zwei Fotos von 2007 (ohne Bauzaun), mit denen wir damals Scherze über den S-Bahn-Tunnel getrieben hatten. Darum auch wandten wir uns mit folgenden Worten an unsere Gefällt-mir-Gemeinschaft: „Was war das? Ein historischer Seiteneingang des City-Tunnels? Eine Bedürfnisanstalt?“
Und sehr schnell trafen interessante Informationen ein! „Das war mal eine Toilette, zum Ende hin ein Schwulentreff“, wusste Sandro. Sabine erklärte den Hintergrund: „Ich kannte es nicht, hätte aber wegen der Fliesen an der Wand auch auf eine Toilette getippt. Es war nicht unüblich, dass Herren-WCs genutzt wurden von Schwulen, um sich dort zu treffen. Das ist kein Leipziger Phänomen, sondern kommt noch aus der Zeit, wo der Paragraf 15 herrschte. Jetzt müssen sich Schwule nicht mehr so treffen.“
Kris bezog sich auf die erste Antwort: „Der angesagte Schwulentreff!“ Und Daniel bestätigte: „Genau, Info hatte ich so auch. Dachte, man hat das Teil schon weggebaggert.“ Jens zweifelte ebenso: „Existiert das noch oder wurde es zugebaggert?“ Es existiert! Zitat von Carmen: „Verwildert, aber noch da.“ Wir waren vor Ort: Hinter Zäunen, Bäumen und Sträuchern fällt das alte Klo selbst im Winterhalbjahr kaum auf. Wenn man genau guckt, sieht man zwei Treppen – für Damen und Herren vermuten wir. „Eine Verbindung irgendwo unterirdisch gibt es aber keine, oder?“, wollte Oliver wissen. Nein, das glauben wir nicht. Und Christof scherzte: „Der Geheimweg nach Klein-Paris.“
Aged LE und Sandro stellten per Link Innenaufnahmen vom Objekt zur Verfügung (siehe unsere FB-Seite). Vielen Dank! Doch jetzt kam der Clou, denn Mirko teilte mit: „Man nannte es auch ‚den kleinen Bürgermeister‘.“ Klasse! Das hatten wir noch nie gehört. Mirko führte weiter aus: „Ob nun Treff für sexuelle Kontakte oder nicht, öffentliche (kostenlose) Bedürfnis’befriedigung‘ war eben auch damals wichtig. Findet heute mal eine kostenlose Toilette im Umkreis von zwei Kilometern um den Marktplatz!“ Da haben wir einen Tipp: Geht zum großen Bürgermeister! Das Neue Rathaus gehört es uns allen, darin gibt es Toiletten.
Zuguterletzt setzt Sabine das Bemühen um Wahrheit & Klarheit fort: „Wann (das Kleinod) geschlossen wurde, wäre schon interessant (zu wissen). Laut der in den Kommentaren verlinkten Bilder existierte es bis mindestens 1985.“ Wer weiß mehr? Wir nicht. Wir erinnern uns nur, dass es an der alten Leipzig-Information einst eine weitere öffentliche Toilette gegeben hat. Da ging es ebenfalls ein paar Treppenstufen hinunter …
Nachtrag am 08.02.2019: Überraschende Entwicklung! Wieland merkt heute auf unserer FB-Seite an: „Das war der Große Bürgermeister, der ‚Kleine Bürgermeister‘ war eine Toilette auf der anderen Seite des Rathauses am Rathausring, aber wo genau – keine Ahnung.“ Vielleicht kriegen wir das noch raus.
Nachtrag am 17.02.2019: Jetzt ist alles klar! Heiner hat das Geheimnis gelüftet, gelöst und erklärt: Er weiß, wo sich der Kleine Bürgermeister befunden hat! „Dieses unterirdische Pissoir war deutlich kleiner als der ‚Große Bürgermeister‘ am Ring, Höhe Hugo-Licht-Straße! Es befand sich an der Kreuzung von Martin-Luther-Ring, Lotter- und Rudolfstraße in der Grünfläche des Rings, also zwischen innerem und äußerem Martin-Luther-Ring. Das Ding wurde in den 90er Jahren baulich entfernt, also nicht nur zugeschüttet, sondern wirklich ausgehoben, entsorgt und dann verfüllt. Der genaue Standort ist heute ein großes Gebüsch, an dessen Rand so eine Behinderten-Toilette aus der Stadtmöblierung von Decaux steht. Bei Google Street View steht in dem Gebüsch zudem noch irgendein roter Verteilerkasten. Darunter war er, der ‚Kleine Bürgermeister‘. Und noch etwas zum ‚Großen Bürgermeister‘: In den vergangenen 15 Jahren gab es immer mal wieder spinnerte Versuche, da eine gastronomische Einrichtung reinzubringen. Zumindest berichtete die LVZ ab und an mal über sowas. Ist aber nie was draus geworden …“ Besten Dank, Heiner!
Nachtrag am 05.05.2022: Heute schreibt die LVZ „Leipzig will Untergrund-Toilette zurück“. Der Große Bürgermeister gehörte dem Immobilisten Wolfgang Kaiser (2016 verstorben), der dort ein kleines Café oder eine Eisdiele errichten wollte, allerdings nie eine Genehmigung dafür bekam. Die Gastronomie darauf sollte das WC darunter finanzieren. Kaiser hatte das Klosett am 12. November 1999 gekauft. Jetzt möchte es die Stadt zurück und wie den Kleinen Bürgermeister entsorgen und verschwinden lassen …