Wie schon beim Sächsischen Tageblatt* aus dem Jahr 1970 danken wir auch bei den noch älteren Theatermaterialien, um die es heute gehen soll, dem freundlichen Bereitsteller Holly! Er übergab uns einen in drei Teile zerfallenen Programmzettel des Leipziger Stadttheaters, auf dem für den 9. April 1904 Hugo von Hofmannsthals Tragödie „Elektra“ angekündigt wird sowie die Operette „Der Sühneprinz“ von Hanns Plank und Otto Findeisen. Das Drama wurde im Neuen Theater gegeben, das Musikstück im Alten Theater. Das Neue befand sich seinerzeit am Standort der heutigen Oper, das Alte an der Straßenbahnhaltestelle Brühl. Auf einer historischen Postkarte ist hinter ihm die Reformierte Kirche zu sehen.
Vor der „Elektra“ lief zusätzlich die dramatische Studie „Gestern“, ebenfalls von Hofmannsthal. Für den 10. April 1904 preist das Neue Theater die Komische Oper „Fra Diavolo“ von Auber und im Vorprogramm Mascagnis Oper „Sicilianische Bauernehre (Cavalleria Rusticana)“ an, während das Alte Theater mit Emil Rosenows** Komödie „Kater Lampe“ am Nachmittag eine Vorstellung für den Leipziger Arbeiterverein gab und abends dann die Operette „Der Bettelstudent“ von Carl Millöcker.
Weiterhin erfahren wir in Voranzeigen von baldigen Gastspielen der Königlichen Kammersängerin Erica Wedekind aus Dresden im Neuen Theater sowie des Königlichen Hofschauspielers Ernst Müller aus Berlin im Alten Theater. Es gab damals bereits Abonnement-Vorstellungen, und beim Eintritt wurde unterschieden in Schauspiel-Preise, Opern-Preise und Gewöhnliche Preise. Texte speziell für den „Sühneprinzen“ bekam man für 50 Pfennig an der Kasse und bei den Logenschließern.
Das Leipziger Schauspielhaus stand seit 1902 übrigens in der Sophienstraße (heute: Shakespearestraße), sein uns bekannter namentlicher Nachfolger nannte sich gleichfalls seit 1902 Centraltheater am Thomasring (heute: Dittrichring) und war ein Operettenhaus so wie jetzt die Musikalische Komödie. Schauspiel und Centraltheater wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört, das Centraltheater anschließend als Schauspielhaus neu errichtet. Von 2008 bis 2013 hieß es nochmals Centraltheater. In Reaktion auf diese zeitweilige Rückbenennung entstanden das Central Kabarett am Markt (2009) sowie das Neue Schauspiel in der Lützner Straße (2010).
Zur Operette „Der Sühneprinz“ ist im Internet zunächst so gut wie nichts aufzutreiben, außer der Information, dass der auch am Text beteiligte Komponist Otto Findeisen (1862-1947) seit 1902 als Kapellmeister am Leipziger Stadttheater wirkte. Ein Jahr vor diesem Amtsantritt hatte ein chinesischer „Sühneprinz“ den deutschen Kaiser in Potsdam besucht, um sich mit Geschenken, Verbeugungen und diplomatischen Worten für den Boxer-Aufstand zu entschuldigen. Sämtliche Zeitungen berichteten davon, die Vokabel Sühneprinz war demzufolge allgemein bekannt. Laut Programmzettel allerdings spielt das Leipziger Stück 1844 in Versailles und Paris. Vielleicht weiß ja jemand mehr?***
* siehe unseren Beitrag „Zeitung von vorgestern IV“ (November 2019)
** nach dem die Rosenowstraße in Mockau benannt ist
*** Nachtrag am 28.01.2023: Dr. Hubert Lang hat uns geschrieben und Erstaunliches zum Sühneprinzen mitgeteilt: „Vielleicht ist für Sie interessant, dass das Libretto zu der Operette ‚Der Sühneprinz‘ von Hans Bachwitz (damals noch Bauchwitz) verfasst wurde, der als Pseudonym den Namen Hanns Plank benutzte … Obwohl Bachwitz während der Weimarer Republik zu den meistgespielten Bühnenautoren Deutschlands gehörte, ist sein Name heute leider völlig vergessen – also ein Geheimtipp!“ Auf hubertlang.de veröffentlichte Dr. Lang die Biografie des einst erfolgreichen Leipziger Juristen und Humoristen und „2021 erschien übrigens in der Connewitzer Verlagsbuchhandlung in den Fundsachen ‚Allerhand Lustiges über allerhand Trauriges‘ von Hans Bachwitz“. Herzlichen Dank!
Außerdem ist auf Dr. Hubert Langs Internetseite eine zeitgenössische Kritik des Sühneprinzen und damit endlich auch eine Inhaltsangabe zu finden: