Ansehen Leute

„Heute tanzen alle jungen Leute …“

Heute tanzen alle jungen Leute

(J.R.) Frank Schöbel, den gebürtigen Leipziger Sänger, Komponisten, Musikproduzenten und Darsteller, kennt man, ebenso die Prinzen sowie die Rock’n’Roll-Band Firebirds aus Leipzig. Doch auch Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre stand unsere Stadt im Zentrum des „Weltgeschehens“. Damals waren das Leipziger Tanzlehrerpaar Christa und Helmut Seifert sowie die Leipziger Sängerin Helga Brauer mittendrin statt nur dabei!

Walter Ulbricht, ebenfalls gebürtiger Leipziger, propagierte 1957, man möge doch einen Tanz, eine eigene Musikrichtung erfinden. Der Grund: Er wollte den aus dem Westen einströmenden Klängen des Rock’n’Roll etwas entgegensetzen, was bei allen Bemühungen letzten Endes gehörig in die Hose ging. Und noch ein Leipziger! Ende 1958 war der Komponist Rene Dubianski der Schöpfer des Kunstproduktes Lipsi. Er hatte aus dem Walzer einen Tanz im Sechsvierteltakt entwickelt und nannte ihn nach seiner Heimatstadt, lateinisch Lipsia – Lipsi.

Das Ehepaar Seifert zeigte jenen Tanz auf der Tanzmusikkonferenz in Lauchhammer am 12. Januar 1959 einem breiteren Publikum. Im gleichen Jahr führten die Seiferts für die DEFA-Kinowochenschau „Der Augenzeuge“ die Schrittfolgen mit Sicht auf die Füße vor vielen Gästen und Neugierigen vor. Und ebenfalls 1959 wurde Helga Brauer auserkoren, mit „Heute tanzen alle jungen Leute (den Lipsi-Schritt, nur noch den Lipsi-Schritt)“ den Modetanz populär zu machen.

Natürlich wurde auch im legendären und ehemals größten Café der DDR, dem Ring-Café am Roßplatz, das Tanzbein geschwungen. Es war auch Austragungsort etlicher Modenschauen, Tanzabende und Bälle. Von Beginn an standen die Leute Schlange, um die heiß begehrten Karten für Veranstaltungen zu erhaschen. Der prachtvolle Saal, die riesige Terrasse und die stilvolle Bar – das Ambiente des Ring-Cafés beeindruckt noch immer.

Die DDR scheute weder Mühen noch Kosten, um den Lipsi sogar weltweit publik zu machen. So konnte man damals eine Amiga-Platte mit 78 Umdrehungen „Alle tanzen Lipsi“, gesungen von den Flamingos käuflich erwerben. 1959 produzierte das Trickfilmstudio sogar einen dreiminütigen Puppenfilm über den Lipsi mit Musik und Tanz, der auf Messen und Veranstaltungen vorgeführt wurde. Im selben Jahr veröffentlichte Amiga die Platte „Mister Brown aus den USA“, gesungen von Helga Brauer in Begleitung des Hemmann Quintetts.

PS.: Der Puppen-Animationsfilm aus dem Jahr 1959 befindet sich in meinem Privatarchiv und kann gegen eine geringe Aufwandsentschädigung bereitgestellt werden. Mailt bitte an defafan@web.de (Jens Rübner).

Wir danken wieder einmal unserem Filmfreund Jens für diese Erinnerung an den Lipsi und empfehlen einen Blick auf die Internetseite der Tanzschule Seifert. In der Rubrik Geschichte findet Ihr alte Bilder und weitere Informationen sowie die Chronik von 1919 bis 2019 zum Herunterladen.

www.tanzschuleseifert.de/geschichte

Nachtrag 1: Christa kommentierte auf unserer Facebook-Seite: „Zu dieser Zeit waren wir im besten ‚Tanzalter‘. Den Lipsi haben sie sich ausgedacht, um eine Alternative zum allseits total beliebten Twist zu schaffen. Wohl auch auf Anregung des Politbüros der SED. Die Genossen wollten einen ’sittsamen‘ Tanz für die DDR-Jugend. Es war eine krachende Niederlage. Wir haben uns totgelacht, aber getanzt haben wir den Lipsi nie …“ Danke , Christa! 

Nachtrag 2: Rolf ergänzte, ebenfalls auf Facebook: „Es hieß bei uns: ‚Wir wollen keinen Lipsi / und keinen Alo Koll, / wir wollen Elvis Presley / und seinen Rock’n Roll.'“ Danke, Rolf!