Filmfreund Jens* hat uns eine Geschichte geschickt und damit zu einer Adresse in Thekla geführt, die uns bislang unbekannt war, die Plösener Straße 8. Hier saß die 1949 gegründete Firma Max Krätzer, Muster und Modellbau, der spätere VEB Modell-Konstrukt Leipzig. Aktuell hängt ein Schild mit der Aufschrift „Kunststofftechnik Leipzig GmbH“ versteckt unterm Laub, das Gelände wirkt verlassen. Wir fotografierten ein wenig herum und erkundeten im Anschluss daran die Gegend, liefen hinunter zur Parthe, vorbei an einer ebenfalls aufgegebenen Gewerbeimmobilie und hinauf zur Kirche. Immerhin, an der Kirche sind wir schon einmal gewesen**. Doch nun zu Jens‘ Geschichte:
„Gemeinsam mit seinem Vater Max hatte Richard Krätzer 1949 eine Modellbaufirma gegründet. Die Idee war, Plastik-Modellautos zu produzieren. Aus dem kleinen Familienbetrieb wuchs allmählich ein Unternehmen mit in der Blütezeit gut 120 Mitarbeitern, die originalgetreue Miniaturautos – Oldtimer vom ersten Wartburg-Modell aus dem Jahr 1898 bis hin zum Dixi Landaulet – bauten. Ein blendendes Exportgeschäft, Anfang der Siebziger machten Max Krätzer & Sohn jährlich drei Millionen Mark Gewinn.
Gegen die neuen Reichen im Land ging die Staatspartei hart, aber diskret vor. Anfang 1972 beschloss das SED-Politbüro die Zwangsverstaatlichung der noch verbliebenen privaten Unternehmen, zu denen auch Krätzers Betrieb zählte. Eines Tages standen in der Plösener Straße 8 Vertreter der Umstellungskommission im Büro und sagten: ‚Herr Krätzer, wir haben den Auftrag, Sie arm zu machen.‘ Angeblich sollte seine Firma Steuern hinterzogen haben.
Mit solchen und ähnlichen Repressalien wurden in den ersten Monaten des Jahres 1972 mehr als 10.000 private in Volkseigene Betriebe (VEB) umgewandelt. Die geschassten Besitzer oder Teilhaber bekamen staatlich festgelegte Entschädigungen. Zur freien Verfügung allerdings war das Geld nicht bestimmt. Das Kapital wurde auf ein Sperrkonto überwiesen, zinslos und vermögensteuerpflichtig. Pro Jahr durften im Höchstfall 20.000 Mark abgehoben werden.
Jahrzehnte ist das her. Krätzer & Sohn lagen bis zur Enteignung technisch an der Spitze. Aber in der Zeit von 1972 bis 1990 hat die SED-Führung nichts investiert. Der Betrieb besaß bei der Reprivatisierung nichts außer seinem Rückstand. ‚Uns blieben zu SED-Zeiten bei 100 Mark Gewinn nur 3 Mark in der Kasse. Davon mussten wir die ganzen Investitionen bezahlen. Wir konnten nie Eigenkapital bilden. Das Schlimme: Alle Förderprogramme aus Bonn halfen nicht, dieses Problem zu lösen.‘ Heute sind Krätzers Bausätze sowie Oldtimer-Modellautos gefragte Objekte, besonders bei Sammlern.“ Danke, Jens!
Quellen: Spiegel online 1991 und Die Treuhand – Wie eine Behörde ein ganzes Land abschaffte (Klaus Behling, Edition Berolina, 2016)
* siehe unseren Beitrag „Kaskadeure vs. Stuntmen“ vom Februar 2019
** siehe unseren Beitrag „Die Kirche in Thekla“ vom Dezember 2012
Nachtrag: Julius hat für uns zum wiederholten Male ins 1973er Telefonbuch geschaut und das hier geunden: Modell-Konstrukt VEB, Plösener Str. 8, Abt. Werkzeugbau – Tauchaer Str. 124. Vielen Dank!