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Mord im Charlottenhof

Mord im Charlottenhof

Leipzig 1898: Im Lindenauer Vergnügungspark Charlottenhof (heute ein Sportplatz) wird einer der reichsten Männer der Stadt tot aufgefunden, Carl August Georgi. Commissar Kreiser, der in der Dufourstraße zur Untermiete wohnt, nimmt die Ermittlungen auf. Gleichzeitig sucht er einen verschwundenen „Mitarbeiter“ der „Völkerschau“ im Zoo. Wir sprachen mit Gregor Müller über seinen ersten Kriminalroman „Völkerschau“ und selbstverständlich auch über Leipzig.

In welchem Leipziger Stadtteil wohnst Du und in welchen bist Du öfters unterwegs?
Als das Buch entstand, habe ich im Leipziger Westen unweit des ehemaligen Charlottenhofs gewohnt. Heute wohne ich im Osten und lasse mich auch hier von der Umgebung inspirieren. Spannende Geschichten gibt es in Leipzig eigentlich überall, nicht selten hilft mir auch der Blog Geheimtipp Leipzig, um neue Ecken zu entdecken. Momentan beschäftige ich mich für eine Fortsetzung für „Völkerschau“ mit dem „Millionendorf“, wo man mich auch öfter mal bei einem Spaziergang treffen kann. Ohne den Blog hätte ich dieses Kleinod, das eigentlich gar nicht nach Leipzig aussieht, vielleicht nie entdeckt. Das gefällt mir auch so an Leipzig: Obwohl ich jetzt schon über zehn Jahre hier wohne, gibt es immer noch unglaublich viel zu entdecken und zu tun. Ansonsten bin ich überall in der Stadt unterwegs und versuche auch mit der (hoffentlich bald fortgesetzten) Reihe um Joseph Kreiser und Hannah Faber möglichst viele Stadtteile abzudecken.

Basiert Dein Roman auf einem wahren Fall?
Der im Roman beschriebene Fall und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Tatsächlich ist die enge Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei – obwohl sie im Königreich Sachsen schon besonders eng war – dramatisiert. Ich habe versucht, die fiktionalen Vorgänge jedoch immer recht eng an die historischen Gegebenheiten anzulehnen. So fanden die Völkerschauen tatsächlich im Zoo neben dem Raubtierhaus statt, wo „Wilde“ gegen Eintrittsgeld zu begaffen waren. Eine Gruppe der Ewe ist aber meines Wissens nicht in den über 40 im Leipziger Zoo stattgefundenen Völkerschauen ausgestellt worden. Für die Beschreibungen der Hütten und der Tätigkeiten der Gruppe habe ich mich bei Jakob Spieths Beschreibung aus dem Jahre 1906 bedient, sie basieren also auf zeitgemäßem Fachwissen. Auch der Prolog ist frei erfunden, allerdings basiert jeder einzelne beschriebene schockierende Fakt auf wahren Berichten. Weibliche Gäste von Völkerschauen fielen tatsächlich – zumindest in deren Frühzeit – in Ohnmacht und es kam auch zu Handgreiflichkeiten gegen die Ausgestellten. Im Charlottenhof, wo sich heute ein Sportplatz und ein gutes griechisches Restaurant befinden, wurde meines Wissens auch keine Leiche gefunden.

Wozu recherchiertest Du, als in Deinem Kopf die Idee Gestalt annahm, einen historischen Leipzig-Krimi schreiben zu wollen?
Mit dem Romanschreiben hatte ich schon mehrmals begonnen, aber nie etwas zu Ende gebracht, bis ich bei meinen Recherchen zu etwas ganz anderem auf das titelgebende Wort „Völkerschau“ gestoßen bin. Das war vor ungefähr vier Jahren, als noch nicht so intensiv darüber debattiert wurde, obwohl das Thema wissenschaftlich schon ganz gut erschlossen war. Je mehr ich dazu gelesen habe, umso mehr wusste ich, dass ich irgendetwas damit machen wollte. Da ich mich schon länger mit dem Gedanken getragen hatte, mich etwas intensiver mit der Stadtgeschichte zu befassen, lag es nahe, einen historischen Kriminalroman über Leipzig zu schreiben. Die Epoche der Kaiserzeit wurde daher eher vom Thema entschieden. Vorher hatte ich diese Zeit immer als etwas dröge und verstaubt verstanden. Aber je mehr ich über die Stadt zu dieser Zeit gelesen habe, umso interessanter fand ich sie. Leipzig hat um die Jahrhundertwende wahnsinnige Veränderungen und einen unglaublichen Boom erlebt – da finden sich natürlich noch viel mehr spannende Themen, zu denen sich hoffentlich noch viele Fortsetzungen schreiben lassen.

Ist das Völkerschau-Plakat auf dem Buchtitel echt oder nachempfunden?
Das Völkerschau-Plakat ist eigentlich eine recht clevere Schummelei. Das Foto zeigt das Hotel Fürstenhof am heutigen Tröndlinring, also unweit des Zoos. Das Bild auf der Litfaßsäule zeigt allerdings nicht die Ausstellung der Ewe, die ja so nie stattfand und von mir für das Buch erfunden wurde. Es handelt sich um eine Postkarte von der Ostafrika-Ausstellung, wo 47 Einwohner Deutsch-Ostafrikas 1897 auf der Sächsisch-Thüringischen Ausstellung gezeigt wurden. Das Gelände wurde später als Park hergerichtet und dem Clara-Zetkin-Park angegliedert.

Hast Du ein bestimmtes Haus in der Dufourstraße vor Augen, in dem Hannah Faber und Joseph Kreiser wohnen? Und auch in der Elisabethallee (heute Erich-Zeigner-Allee), kommt da für Carl August Georgi eine spezielle Villa in Frage?
Die Wohnung in der Dufourstraße habe ich immer so in der Höhe gesehen, wo sie sich teilt, also an der Einmündung der Körnerstraße. Die Wohnung ist aber völlig frei erfunden und hat mit dem tatsächlichen Baubestand wenig zu tun. Auch die Villa in der Elisabeth-Allee ist bewusst ganz frei erfunden. Sie würde sich aber architektonisch in die östliche Seite der heutigen Erich-Zeigner-Allee zwischen Lionstraße und Karl-Heine-Straße einfügen. Ich mische in dem Roman tatsächlich existierende Lokalitäten mit erfundenen Orten, die aber sozusagen archetypisch für die umgebende Architektur sind. So ist das architektonische Vorbild von Georgis Fabrik unschwer noch heute an der Ecke Zschochersche-, Markranstädter Straße zu erkennen, ohne dass im Buch explizit diese Fabrik gemeint ist.

Auf Seite 118 erwähnst Du die Leipziger Rettichbirne. Gibt es die noch?
Die Leipziger Rettichbirne gibt es tatsächlich noch. Die Bäume kann man im Fachhandel als Liebhabersorte kaufen und großziehen. Ob es die Früchte noch im Verkauf gibt, weiß ich aber nicht. Ich hatte bei der Recherche gezielt nach einer alten lokalen Birnenart gesucht, die es möglichst auch heute noch gibt. Die Beschreibung lehnt sich an das Illustrierte Handbuch der Obstkunde von 1860 an.

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