Im Zusammenhang mit historischem Holzpflaster auf Leipziger Straßen sind wir schon einmal auf die Pferdefleischgaststätte im Münzblock zu sprechen gekommen*. Nun erreichten uns neue Hinweise aus der Vergangenheit. Es geht um das Lokal, in dem seit einiger Zeit der Burgermeister zu Hause ist. Vorher hielten dort Papa Hemingway, ein Spielcafé, dessen Namen wir vergessen haben, und andere die Fahne der Gastronomie hoch – und vor über 50, fast 60 Jahren Marie Pohle. Eberhard K. erinnert sich: „Unmittelbar neben dem Eingang Münzgasse, also der rechte Teil, war die Ponydiele und hieß ‚Marie Pohle‘. Tolles Essen, die Krönung waren die Klopse. ‚Marie Pohle‘ wurde so um die 60er Jahre geschlossen, irgendwas war mit der Steuer o.ä.. Scherzhaft sagte man: Die ist verhaftet worden. Warum denn? Da waren Sägespäne in den Klopsen. Äh? Ja, die hat ein Schaukelpferd mitverarbeitet …
Es war die Großmutter meines Klassenkameraden in der Martinschule, Peter P.. Das Schlachthaus befand sich in der Ungerstraße, schräg rüber von der Eishalle bzw. Eisfabrik. Wenn geschlachtet wurde, stand eine Riesenschlange vor dem nur an diesem Tag geöffneten Ladengeschäft. Aus dem Schlachthaus kamen durch meinen Klassenkameraden sogenannte Wurstpfeiler, circa 30 cm lange dünne Holzspieße, und vor allem viel Bindfaden – alles, was man zum Bau von vier- und sechseckigen Drachen brauchte. Ich war 1959 das letzte Mal in der Ponydiele. Übrigens haben wir immer gern im Untergeschoss, im Keller gesessen. Vom Erdgeschoss ging es auf einer kurzen Wendeltreppe nach unten, und an der Wand hing auf halber Treppe eine Schwindelmaschine, also ein für damalige DDR-Verhältnisse sonst nicht anzutreffender Glücksspielautomat.“
Unser Chefrechercheur Andreas machte sich auf diese Zeilen hin an die Arbeit zur Adresse Münzgasse 8. Dort nämlich arbeitete Walter Pohle ebenfalls im Bereich der Pferdefleischverarbeitung. „Vor 1930 finden sich keine Informationen über Walter Pohle, 1930/31 könnte sich seine Firma in der Kirchstraße 80 (heutige Hermann-Liebmann-Straße) befunden haben. Allerdings residierte dort zur selben Zeit – davor und danach – die bekannte Roßschlächterei Schellenberger. Somit ist nicht ganz klar, ob Pohle bei Schellenberger scheinselbstständig war oder dort bereits ein eigenes Etablissement besaß – letzteres ist kaum vorstellbar.
Ab 1932 befindet sich der Betrieb in der Münzgasse 6 und teilt sich in dem Haus die Räumlichkeiten mit der Gaststätte ‚Zur Münze‘, bis etwa 1936. Dann wechselt die Roßschlächterei einen Eingang weiter – ab 1937 wird in der Münzgasse 8 das Beil geschwungen. Dieses Gebäude hatte übrigens eine sehr lange Tradition in der Fleisch- und Wurstzubereitung, dort war jahrzehntelang eine Fleischerei angesiedelt. Diese lässt sich bis 1820 zurückverfolgen, als Friedrich Adolph Naumann im damaligen Petersschießgraben Nummer 826 als ‚Fleischhauer‘ startete. Ab 1841 filettierte dann Karl Friedrich Neimann, später dessen Nachwuchs. Der stellte 1899 das Wursten ein, von da an wurde die Fleischerei vermietet, das Haus blieb im Besitz der Familie. Walter Pohle betrieb seine Fleischerei in der Münzgasse 8 bis nach 1950. Das Haus wurde später abgerissen, der Betrieb siedelte sich 1950 oder 1951 im Peterssteinweg 10 (Ecke Münzgasse 1) an und ist dort nachweisbar bis mindestens 1957. Die Roßschlächterei und Wurstfabrik Walter Pohle lässt sich dann ab 1960 zumindest im Branchenfernsprechbuch des Bezirks Leipzig nicht mehr zu finden.
Auch in Anger-Crottendorf gab es eine Roßschlächterei Pohle. In der Ungerstraße 5 saß Max Pohle von etwa 1912 bis nach 1950. Das im Hof befindliche, vermeintlich dazugehörige Gewerbegebäude dürfte sogar noch existieren. Ob es sich hier um den elterlichen Betrieb von Walter Pohle handelt?“ Auf jeden Fall besteht eine Verbindung zu Marie Pohle und zur Münzgasse bzw. dem Münzblock. Um die Geschichte rund zu machen, müsste jetzt nur noch der Burgermeister Pferdeklops a.k.a. Pohle-Burger auf die Karte nehmen …
Aus dem Text der Anzeige von Walter Pohle: „Notschlachtungen werden in Leipzig u. auswärts prompt ausgeführt. Transport-Auto steht immer bereit! Auf Verlangen übernehme ich Gewähr für sofortige Schlachtung u. schicke Hufe u. Schweif portofrei zurück“.
Nachtrag am Tag der Veröffentlichung: Facebook ist gar nicht so schlecht, über das Netzwerk trudelten nämlich Neuigkeiten zu obiger Geschichte ein. So erinnerten sich Thomas F. und Tobias S. an den Namen des Spielcafés, es hieß Triangel. Danke! Und Thomas M. sprang unserem Andreas mit weiteren Einzelheiten bei: „Mit Sicherheit gab es eine verwandtschaftliche Beziehung zwischen Max und Walther Pohle. Max Pohle war Eigentümer der Häuser Ungerstraße 5 und 7. In der Nr. 5 wohnte er selbst und hatte dort seine Roßschlächterei und im Haus Nr. 7 ist im Adressbuch von 1932 Walther Pohle als Hausmann eingetragen. In den Vierziger Jahren wohnten außerdem noch Fritz und Herbert Pohle im Haus Nr. 5, alles Roßschlächter. Emil Schellenberger wohnte aber ebenfalls in der Ungerstraße 5, mit dem Verweis auf das Geschäft in der Hermann-Liebmann-Straße 80.“ Stark!
Gaststätte Reform: Peterssteinweg 10. Vormals Roßfleischgaststätte Marie Pohle. Am 23. März 1962 Eröffnung als Gaststätte mit vegetarischen und Schonkostangeboten. Damals Sonntag Ruhetag. Bardrinks waren unter anderem Haferschleim und Bierlimonade. Wegen mangelnden Interesses bald wieder geschlossen. In den gleichen Räumen nach zweckentfremdeter Nutzung und Umbau nun „Zur kleinen Münze“. (zitiert nach „Wirtliches an der Pleiße“ von Helmut-Henning Schimpfermann, 1991)
Nachtrag im Frühjahr 2020: Der Burgermeister ist ausgezogen, aktuell nennt sich das Lokal Pholosophy und ist ein vietnamesisches Restaurant.
* siehe unseren Beitrag „Leipziger Holzpflaster“ vom Januar 2015