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Vasenol aus Lindenau

Vasenol in Lindenau
Thüringer Straße / Ecke Spinnereistraße
Thüringer Straße / Ecke Spinnereistraße

(A.H.) Nachdem wir unlängst ein Bild der Immobilie auf unserer Facebook-Seite veröffentlicht hatten, ging der Geheimtipp-Leipzig-Geschichtsverantwortliche Andreas der Nutzung der Thüringer Straße 1-3 (Ecke Spinnereistraße) auf den Grund. Das Gelände wurde nach 1880 bebaut, sagt er, auf einem Stadtplan-Ausschnitt von Lindenau-Plagwitz aus dem Jahr 1880 sind keine Gebäude erfasst. Die ersten Gebäude mit dieser Adresse wurden vor 1885 errichtet und seit mindestens 1885 bis etwa 1889 von der Dampf-Roßhaar-Spinnerei Karl Hänsel genutzt. Die Thüringer Straße hieß zuvor An der Südstraße. Seit 1893 war dort Paul Hötzsch mit seiner Bau- und Möbeltischlerei, Bildhauerei und „Fraiserei mit Dampfbetrieb“ beheimatet. Die 1885 gegründete Firma hatte zuvor in der Merseburger Straße 23 ihren Sitz gehabt und verblieb hier bis etwa 1904.

1898/99 befand sich außerdem das Lager und die Werkstatt der Maschinen-Handlung Jacob & Becker in der Thüringer Straße 1-3. In einem vor 1900 errichteten Seitengebäude ist ab 1900 die Leipziger Wellpapierfabrik Graeßle, Laupitz & Co. ansässig. Um 1902 wurden die Räumlichkeiten an andere Firmen vermietet, die Möbeltischlerei Hötzsch wurde von der Kistenfabrik C.A. Voigt „beerbt“ und ließ noch Platz für die Feilenschleiferei J. Jentsch. Im Seitengebäude war nun das Chemische Laboratorium von A.D. Köpp zu finden. Die Kistenbauer von Voigt hatten hier nur einen Betriebsteil, der Hauptsitz befand sich in der Grenzstraße 29, die Zweigproduktion in Lindenau wurde 1908 eingestellt. Von nun an war Dr. phil. Arthur Köpp mit seiner Fabrik für chemische Produkte der einzige Nutzer. Seit mindestens 1909 wird die Bezeichnung Vasenol-Werke benutzt, wie anhand einer Rechnung belegt ist. Über den Namen teilt Wikipedia Folgendes mit: „Vasenol ist eine seit 1903 eingetragene Marke für Wund- und Hautpflegemittel. Populär wurden das Vasenol Körper- und Fußpuder schon in den 1920er Jahren, sowie Pflegemittel der Kinderhygiene, die so bekannt waren wie heute Penaten.“

Zur Firma und Person Köpp finden sich u.a. Informationen auf der Webseite des Sächsischen Staatsarchivs. Dieses beherbergt mit der Bestandsnummer 20704 etwa 3,88 laufende Meter Aktenmaterial der Vasenol-Werke Dr. Arthur Köpp, Leipzig, aus den Jahren 1912-1964. Die Vorbemerkung zum Bestand wurde 1987 von L. Herfurth angefertigt, nachfolgend die für die Firmen- und Personengeschichte relevanten Auszüge: „Der Betriebsgründung – 1903 in Leipzig-Lindenau – lag die Entdeckung von Dr. Arthur Köpp zu Grunde, wasserabweisende organische Fette wasseraufnahmefähig zu machen und auf chemischem Wege Stoffe herzustellen, die sich als Hautpflegemittel eigneten und bewährten.

Hier wurde Vasenol hergestellt
Hier wurde Vasenol hergestellt

Die zunächst im Labor entwickelten pharmazeutischen und kosmetischen Präparate wurden schließlich industriell gefertigt und unter dem Namen ‚Vasenol‘ mit einem ebenso großen wie geschickten Werbeaufwand in entsprechender zweckmäßiger Verpackung besonders in der Säuglingspflege populär. Bekannt waren die Vasenol-Creme und entsprechende Puder. Körperpflege, Sport, Beanspruchung in der Fabrikarbeit ließen den Bedarf an diesen Präparaten rasch steigen. Die Vasenol-Werke – 1930 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt – erreichten eine marktbeherrschende Position, die in den 20er Jahren weit über Deutschland hinausgriff. In Berlin und Hamburg entstanden Filialen, Produktionsstätten wurden in Aussig (Usti), Wien, München, Saarbrücken und Danzig unterhalten (vor 1933). Die Zahl der Beschäftigten lag infolge der rationellen, auf wenige Produkte spezialisierten Produktion insgesamt nur bei 300 (1933), wurde aber bei enger Verbindung der Unternehmer zu den Nationalsozialisten noch wesentlich gesteigert. Rüstung und Krieg ließen den Bedarf an medizinischen Salben, Brandbinden usw. ungeheuer steigen.

Im Zuge der Okkupation dehnte sich die Firma bis nach Norwegen, Dänemark, Frankreich und in andere besetzte Gebiete aus. Dr. Heinrich Köpp floh 1945 nach dem Westen und wurde in der amerikanischen Zone verhaftet. Im Aufsichtsrat saß u.a. Fritz Thorer von dem gleichnamigen Rauchwarenunternehmen. Der Leipziger Betrieb war in erweiterter, modernisierter Form von Lindenau in die Wittenberger Straße verlegt worden. Der Bombenangriff vom 4. Dezember 1943 hat das Leipziger Werk fast total zerstört. Ein Rest an Produktion ist nach Röcknitz verlegt worden. Rittergut und Schloß gehörten der Familie Köpp. In der Bodenreform enteignet, dienten Herrenhaus und Nebengebäude dem unter Treuhandverwaltung stehenden und im Volksentscheid enteigneten Betrieb auch nach 1945, bevor die Rückverlagerung nach Leipzig erfolgen konnte.“

Zum Rittergut Röcknitz aus der Zeit Köppschen Besitzes finden sich interessante Informationen auf der Webseite des Heimatvereins Röcknitz-Treben e.V. (www.schubert-roecknitz.de). Daraus folgender Auszug: „Die beiden Gebrüder Bautzmann konnten das Gut nicht lange halten. 1917 wurde alles wieder verkauft. Als Käufer fand sich Kommerzienrat Dr. Arthur Köpp, der in Leipzig in der Hillerstraße 4 ansässig war und dort die Vasenol-Werke besaß. Für das Rittergut in Röcknitz bezahlte er 1,5 Millionen Mark. Dr. Arthur Köpp ließ die neue große Scheune hinter dem Rittergutsteich ausbauen und legte auch die neue Gärtnerei an. Gleichzeitig kaufte er noch das Matthäus’sche Gut in der Hauptstraße neben Ziegers, die spätere MTS bzw. LPG, zum Rittergut hinzu.

Hier saß auch der St. Benno Verlag
Hier saß auch der St. Benno Verlag

Sein Sohn Heinrich, der ebenfalls die Doktorwürde trug, übernahm 1935 das gesamte Rittergut von seinem Vater. Dr. Heinrich Köpp wollte jedoch nicht im Herrenhaus wohnen und so ließ er sich das kleine Haus an der Steinbergstraße, in dem heute Schmidts wohnen, bauen. Der angrenzende kleine Hügel wurde als ‚Sonnen-Liege-Terrasse‘ genutzt und ist noch im heutigen, vor allem kindlichen Sprachgebrauch als ‚Hexentreppe‘ bekannt. Der daneben liegende Teich, der auch heute noch existiert, wurde für die Herrschaften als Badeteich angelegt. In diesen mündet noch heute eine der vielen Quellen, die in und um Röcknitz existieren. In den Stallungen des Rittergutes waren zu dieser Zeit vorwiegend Ochsenbestände vorhanden, mit denen alle landwirtschaftlichen Tätigkeiten erledigt wurden. Am 5. November 1922 brannte die Rittergutsfeldscheune am Schafteich mit ihrem vollen Inhalt an ungedroschenem Getreide ab. Das Rittergut Röcknitz wurde mit dem 1. Februar 1923 an Max Boden, Sohn des Rittergutsbesitzers Boden auf Bernbruch, verpachtet. Dieser Pachtvertrag lief bis 1924. In dieser Zeit ließ der Pächter auch ein Stallgebäude im Rittergut, die spätere BHG, an der heutigen Ringstraße im Auftrag von Dr. Heinrich Köpp errichten. Die an der westlichen Giebelseite angebrachten Initialen ‚HK‘ zeugen noch heute davon.

Das Stall- und Wirtschaftsgebäude des Rittergutes wurden mit einem stabilen Keller versehen, der im Zweiten Weltkrieg von großem Nutzen war. Während der Luftangriffe der Alliierten diente dieser Keller als Luftschutzbunker. Ertönte die Sirene, so begaben sich die Bewohner der umliegenden Gehöfte dorthin. Der großzügig angelegte Pferdestall wurde sogar mit einer Kumthalle ausgestattet, denn der Herr Boden war ein ‚Lebemann‘, der einen Rennstall mit 6 Pferden unterhielt. Als Krönung seiner Misswirtschaft ging er 1924 mit 250.000,00 Mark Schulden Pleite und trug hauptverantwortlich dazu bei, dass viele Handwerker im Ort kein Geld für ihre harte Arbeit erhielten. 1930 ließ Dr. Arthur Köpp einen weiteren Plan der Rittergutsgebäude erstellen. Zu jener Zeit wohnten der Rittergutsinspektor mit Familie und der Schweizer mit Familie im Verwaltungsgebäude. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges gingen auch für die ländlichen Bewohner viele Veränderungen einher. In den vierziger Jahren, als der Krieg massiv auf die deutsche Zivilbevölkerung zurückkam, wurde unter vielen anderen Städten auch Leipzig bombardiert. Die Köppschen Vasenol-Werke Leipzig verlagerten daraufhin einzelne Produktionslinien nach Röcknitz. So wurde u.a. in der Turnhalle und in Richters Saal Puder abgefüllt.

Aus einer Zeugnisabschrift, die uns Uta Löschhorn (Tochter von Wilhelm Bethge) freundlicherweise zur Verfügung stellte, ist uns Folgendes überliefert: Wilhelm Bethge, der Verwalter des Rittergutes – auch Administrator genannt, war im Rittergut bis zum 17. August 1945 tätig. An diesem Tag wurde das Rittergut von der Roten Armee beschlagnahmt und ein eigener Beamter eingesetzt, so dass Herr Bethge seine Stellung verlor. ‚Herr Bethge hat das Gut 1932 im stark herab gewirtschaftetem Zustand in Bewirtschaftung genommen. Es ist ihm schon im ersten Jahr, im Gegensatz zu den früheren Jahren gelungen, ohne Zuschüsse zu wirtschaften. In den weiteren Jahren hat er erhebliche Reingewinne erzielt, die stark verfallenen Baulichkeiten wieder hergerichtet und verbessert sowie umfangreiche Drainierungen durchgeführt.‘ Lina Köpp, geborene Frederking, die Ehefrau von Dr. Arthur Köpp, verzog nach Leipzig in die Hillerstraße. Ihr Sohn, Dr. Heinrich Köpp, ging nach Oberndorf am Neckar in der damals französischen Zone …“

Der Name Frederking lässt aufhorchen! Bis 1903 gab es die Firma Th. u. Ad. Frederking, Eisengießerei und Fabrik für Transmissionen in der Karl-Heine-Straße 78-80, ab 1905 nutzte das Gelände die Fa. Rudolf Sack. Vielleicht ist die genannte Lina Köpp mit den Frederkings aus Lindenau verwandt? Das wäre nicht überraschend. Laut den Einträgen in den Adressbüchern von Leipzig wurde aus den Vasenol-Werken Dr. A. Köpp 1930 eine Aktiengesellschaft. Am 1. Mai 1937 lautet die neue Adresse Wittenberger Straße 2 / Berliner Straße 61-63, das Unternehmen hatte sich nach größeren Räumlichkeiten umgesehen. Wie ging es weiter in Lindenau? 1937 bezog die Metallwarenfabrik Fritz Thörmer die Fabrikräume in der Thüringer Straße. Die 1896 gegründete Plagwitzer Firma produzierte zuvor in der Nonnenstraße 31 und fertigte u.a. landwirtschaftliche Maschinendrehteile, Staufferbüchsen, Ölgefäße, Leichtmetall-Druckschmierköpfe und kolbenlose Schlenk-Wirbeldruck-Pressen. Nach 1970 mutierte die Firma wahrscheinlich zum Werk III des VEB Formdrehteile Leipzig in der Kirschbergstraße 14 – der volkseigene Betrieb befasste sich mit der Herstellung von Automatendrehteilen. Leider liegen keine Informationen vor, bis wann der Betrieb in der Thüringer Straße produzierte.

Detail am Gebäude
Detail am Gebäude

Ab 3. September 1953 nutzte auch der St. Benno Verlag einen Teil der Gemäuer. Dieser befasst sich mit der Herausgabe katholischen Schrifttums, dazu wurden in der Thüringer Straße 1-3 Verlagsräume bezogen, welche aber eigentlich nur als Interimsquartier vorgesehen waren. Die Räumlichkeiten des Leipziger Oratoriums befanden sich in der Karl-Heine-Straße 110, zusätzlich wurden noch frühere Büros der Firma von Direktor Joseph Bohn in der Saalfelder Straße 2-4 genutzt. Unklar ist, bis wann der St. Benno Verlag in Lindenau verblieb, spätestens mit der Einweihung des neuen Verlagsgebäudes in der Stammerstraße 11 in Wahren am 19. September 1997 war in Lindenau Schluss. Um etwa 2016 sind die Vasenol-Gebäude immerhin im Dachbereich gesichert, wie Aufnahmen von Google Maps zeigen.

Herzlichen Dank an Andreas!

Nachtrag 1: VEB Formdrehteile Leipzig (Thüringer Str. 1/3) 1973 noch an diesem Standort, laut Fernsprechbuch von 1973 (S. 152). Werk I – Lzg 22 Kirschbergstr. 14, Werk II – Lzg 22 Verl. Max-Liebermann-Str., Werk III – Lzg 33 Thüringer Str. 1/3 sowie Formdrehteile VEB – Engelsdorf, Friedrich-List-Str. 4. Besten Dank an Julius!

Nachtrag 2: „Vielleicht kann ich die offenen Fragen zu Lina Köpp geborene Frederking (23.09.1876 Leipzig – 14.06.1964 Stuttgart) etwas erhellen“, schrieb uns Dr. Hubert Lang aus Leipzig im Januar 2022. „Lina Frederking war die adoptierte (!) Tochter von Philipp Friedrich Theodor Frederking (07.08.1844 Minden – 15.01.1914 Wiesbaden). Ihre Adoptivmutter war Therese Drucker (1851-1927). Diese wiederum war die Halbschwester des Oberjustizrates Martin Drucker sen. Mit der jüdischen Familie Drucker befasse ich mich seit vielen Jahren. Wäre Lina also eine leibliche Tochter gewesen, so hätte sie nach 1933 als ‚Halbjüdin‘ gegolten. Meines Wissens soll Lina die leibliche Tochter eines Bruders ihres Pflegevaters gewesen sein. Gesichert ist das aber nicht.“ Und Dr. Lang setzte fort: „Der Adoptivvater kam übrigens 1870 aus Bremen nach Leipzig und wurde hier 1872 Bürger. Er war tatsächlich mit seinem Bruder Adolf (dem angeblichen leiblichen Vater von Lina) Miteigentümer der Maschinenfabrik in Lindenau. Er war Kaufmann, aber sein Bruder Adolf (1845-1903) war Ingenieur. Deshalb endete die Firma vielleicht nach dessem Tod. Die wichtigste Quelle für diese Informationen ist übrigens die sogenannte ‚Judenkartei‘ im Stadtarchiv. Dorthinein kamen die Frederkings wegen der Heirat mit Therese Drucker.“ Besten Dank!