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Vergessene Geschichten, verschwundene Orte

Vergessen und verschwunden

Vergessene Geschichten von verschwundenen Orten – das ist etwas für uns, wenn es Leipzig betrifft. Ein ziemlich unbekannt gebliebenes (positives) Nebenprodukt der Tausendjahrfeier unserer Stadt von 2015 ist das Büchlein 100 Orte – Heute sind da Häuser.

Es erzählt solche Geschichten, beginnend mit der Burg Libzi und dem Blauen Wunder über Wilhelms Weinstuben und das Goldhahngässchen bis hin zum Schorschl, der Rödel und der Schuhcremevilla. Doch damit nicht genug werden wir mit märchenhaft benannten Plätzen wie dem Schneckenberg und der Ausflugsinsel Buen Retiro erfreut, mit dem Kanonenteich und der Kletterstangenschänke. Da staunen selbst die, die alles zu kennen glauben.

Julia Lehmann und Sebastian Ringel recherchierten und verstärkten sich zum Aufbereiten ihrer Ergebnisse um die drei Mitschreiber/innen Elisa Jentsch, Simone Unger und Christian Hanisch. Auf den Bildern zu ihren Text haben sie das Verschwundene stets in blauer Farbe sichtbar machen lassen – eine gute Idee (Layout: Mathias Schäfer).

Die „100 Orte“ kauften wir auf eine Zeitungsnotiz hin im Jubeljahr am Thomaskirchhof, nicht im kirchlichen Buchladen an der Ecke, wie man vermuten könnte, sondern im Weltladen kurz daneben. Und auch dort musste die Broschüre damals erst beschafft werden. Vielleicht ist sie deshalb nicht sonderlich prominent geworden, vielleicht gibt es sie deswegen sogar immer noch?

Wir wissen es nicht, können dank unserer Kaufentscheidung von vor zwei Jahren nun aber zum Beispiel jederzeit nachschlagen, wo Hubert Ritters Planetarium stand (an der Ecke von Pfaffendorfer Straße und Kickerlingsberg), wann ein Rattenkönig die Lindenauer Mühle heimgesucht hat (1774) und wer im frühen 19. Jahrhundert die Blaue Mütze frequentierte (nämlich die zu der Zeit verbotenen und verfolgten Turner).

Bei der Gelegenheit: Auf dem Schneckenberg steht seit Jahrzehnten die Oper, Buen Retiro befand sich im heutigen Musikviertel und die Kletterstangenschänke in der Löbauer Straße in Schönefeld.

„100 Orte – Heute sind da Häuser“ ist verwunderlicherweise in keinem Verlag erschienen, zumindest wird im Buch nirgendwo einer aufgeführt, stattdessen das Kulturamt Leipzig, das Projekt Kultur / Standort / Bestimmung sowie der Fonds Soziokultur

www.facebook.com/100Orte

Nachtrag im November 2020: In „Leipzig – Geschichte der Stadt in Wort und Bild“ (1978) ist der alte Gasthof Blaue Mütze (neben Seite 32) abgebildet. In ihm habe August Bebel 1861 seine politische Laufbahn begonnen.