Wenn Zeitungen nur alt genug sind, ist auch das Blättern darin wieder interessant. 1990 gab es das Tagesblatt Wir in Leipzig, Redaktion und Verlag saßen in der Straße der DSF 97, dort wo später Radio PSR beheimatet war. Damals war der Sportclub Leipzig (SCL) die Handballmannschaft der Stadt und wurden gerade die Volkseigenen Betriebe (VEB) privatisiert. Wir zitieren ein bisschen …
Wir in Leipzig, 3. Mai 1990:
„Auch Mike Fuhrig geht – Der 24jährige DDR-Auswahlspieler und Abwehrspezialist des SCL unterschrieb einen Vertrag beim Handball-Bundesligist SG Wallau-Massenheim. Damit ist der 1,98 m große Rückraumspieler nach dem Weltklasse-Torhüter Peter Hofmann der zweite Spieler des SCL, der seinen Wechsel perfekt macht.“
„Helle Aufregung herrschte gestern im VEB Ingenieurtiefbau in der Diezmannstraße. Unbekannte Täter stiegen in der Nacht vom 1. zum 2. Mai in die Büroabteilung des Betriebes ein. Glastüren gingen zu Bruch, Büroräume wurden verwüstet. Trotz hohen Sachschadens an der Büroausstattung wurde nichts gestohlen – so die ersten Ermittlungen der Polizei. (…) Das Betriebsklima ist seit Wochen äußerst angespannt. Im Juli wird der VEB reprivatisiert. Entlassungen sind dann an der Tagesordnung. Deshalb glaubt die Belegschaft. das Motiv der Tat zu kennen: ‚Ganz Neugierige waren auf der Suche nach den blauen Briefen'“.
Anzeige (leicht gekürzt)
„Großer Lagerverkauf / In der Woche vom 7.5. – 11.5.1990 führen wir, der VEB Obst- und Gemüseverarbeitung Leipzig, einen Lagerverkauf durch. Wo? OGEVA Straße des Komsomol 177, Eingang Brauereistraße / Was wird angeboten? Erbsen, Sauerkraut, Krautsalat, Porree, Rote Beete, Rotkohl, Apfelmus / Alle Konserven sind aus der laufenden Produktion und mindestens haltbar bis Juni 1991. Informieren Sie sich, denn so preiswert bekommen Sie nie wieder Konserven angeboten.“
(Das Foto dazu haben wir in der Josephstraße schießen können. In den Schaufenstern des Buch-und-alles-Mögliche-An- & Verkaufs an der Ecke zur Karl-Heine-Straße stehen und liegen die unglaublichsten Dinge, u.a. Porree und Ketchup aus der DDR.)
Wir in Leipzig, 7. Mai 1990:
„‚Die Baufunzel‘ ist erloschen. Die Leipziger Funzel leuchtet. Sie lockte die Kabarettfans dieser Tage sogar bei schönstem Sonnenschein in die Grünauer ‚Nelke‘. Angesagt war das Reprisenprogramm ‚Unser täglich Lob‘, seit der Wende vom Ensemble des Amateurkabaretts ständig aktualisiert. (…) Als überzeugendes Gretchen von heute präsentierte sich das Kücken der Truppe, Anke Geißler. (…) … unter Leitung von Thorsten Wolf … (…) Noch bis 1. Juli stützt das Bau- und Montagekombinat Süd die Funzel. Aber was wird danach? Die Amateure wollen ins Profilager überwechseln. (…) Die Truppe setzt auf die neue Stadtverwaltung. Eine eigene Spielstätte wäre ihr Traum.“
Nachtrag: Die Straße der DSF heißt heute Delitzscher Straße, die Straße des Komsomol Dieskaustraße. Radio PSR sendet seit einigen Jahren aus der Innenstadt, wo auch die Funzel seit Ewigkeiten zu Hause ist, und Erstliga-Männerhandball wird mittlerweile vom SC DHfK gespielt. Hauptauftrittsort der (Bau-)Funzel war bis zu deren Umzug ins Zentrum der Jugendklub Nelke im Nelkenweg in Grünau, gleich an der Straßenbahnhaltestelle Parkallee.