Die Fläche ist etwa so klein wie ein Kickertisch, unscheinbar auf den ersten Blick, an einer Stelle löchrig, seit Jahrzehnten von Millionen Füßen getreten. Ein Relikt aus einer längst verlorenen Epoche: Am von Wohnungen überbrückten Durchgang von der Härtel- in Richtung Grünewaldstraße hat ein Rechteck aus uraltem Holzpflaster die Zeit überdauert.
Eingefasst von einem gusseisernen Rahmen reihen sich Elemente dieses so genannten Stöckelbodens aneinander. Beim Holzpflaster stehen die Holzfasern vertikal, im Gegensatz zum Parkett. Exakt datieren lässt sich das Alter der Fläche nicht. Bekannt ist aber, dass Holzpflaster erstmals Mitte des 19. Jahrhunderts als Straßenbelag verwendet wurde.
Erste Straßen mit Asphaltdecken erhielten Paris (1859), London (1869) und Berlin (1877). Etwa bis Ende des vorvergangenen Jahrhunderts galt das Holzpflaster als buchstäblich gängiger Belag. Bis in die ersten Nachwende-Jahre hinein waren im Barfußgässchen am Übergang zum Dittrichring sogar noch mehrere Quadratmeter Holzpflaster zu entdecken. Dann wurde die komplette Fläche in Stein versiegelt.
Der kleine hölzerne Restfleck an der Härtelstraße hingegen hat – an einer Stelle mit Pflastersteinen ausgebessert – überdauert; er dürfte mindestens 100 Jahre alt sein. Die Jahresringe der einzelnen Bestandteile sind noch gut zu erkennen. Ein Holzpflasterstück fehlt seit langem, bestenfalls entfernt von einem Nostalgiker.
Auch dank der gusseisernen Fassung der Eutritzscher Franz Mosenthin Eisenbaufabrik und Eisengießerei*, gegründet 1864, könnte diese unauffällige Spur der Leipziger Vergangenheit noch Jahrzehnte bleiben – vorausgesetzt, das hölzerne Amalgam wird nicht zwecks Fußwegsanierung eines Tages herausoperiert.
Mark Daniel
* über dieses Unternehmen ist in der Broschüre „Leipzig-Eutritzsch im Spiegel von 25 Jahren Stadtteilzeitung“ (2016) einiges zu erfahren, u.a. dass der gelernte Schlosser und Sohn eines Gärtners Franz Mosenthin (1840-1896) eiserne Gewächshäuser baute und die Eutritzscher Friedhofstraße seit 2000 Mosenthinstraße heißt; aus dem Familienbetrieb Mosenthin (seit 1914 in der Zschortauer Straße ansässig) ging 1953 der VEB Montan hervor
siehe auch unseren Beitrag „Leipziger Holzpflaster“ (Januar 2015)
PS: Kennt jemand weitere Holzpflasterflächen?
Ja! Am 16. September 2012 stießen wir im Eingangsbereich des Wamslergartens (später Eisengießerei, mittlerweile Kaiserbad, Karl-Heine-Straße 93) auf ein weiteres in Metall gefasstes Holzpflaster, gleich beim Briefkasten vom Westbesuch (westbesuch.com). Und am 16. Februar 2015 sahen wir beim x-ten Entlanglaufen unter den Arkaden des Alten Rathauses plötzlich zwei Gullydeckel o.ä. mit Holzpflaster!
Kurz darauf, am 24. Februar 2015, mussten wir feststellen, dass das Holzpflaster in der Härtelstraße verschwunden ist – der Ausgangspunkt unseres Beitrags. Jetzt finden wir dort Metallplatten. Und auch vor der grünen (Westwerk-)Villa in der Karl-Heine-Straße liegt mittlerweile kein Holz mehr. Schade!
Im September 2016 wiederum trauten wir unseren Augen im Bahnhof Liebertwolkwitz kaum: Holzpflaster im großen Maßstab und in bester Qualität! Und am 27. Mai 2018, nach dem Besuch des Dixieland-Frühschoppens im Hopfenspeicher, entdeckten wir im Eingangsbereich des Lokals, direkt an der Oststraße einen schönen Streifen Holzpflaster. Auch da sind wir schon x-mal langgelaufen …
Das Finanzamt (Leihhaus) hat ebenfalls Holzpflaster zu bieten, im Seiteneingang Eutritzscher Straße. Bemerkt haben wir das im September 2019.
Nachtrag im Mai 2020: André König aus Berlin beschäftigt sich ebenfalls mit Holzpflaster. „Ich habe während meiner Recherchen herausbekommen, dass die Leipziger Holzpflasterfabrik von 1881 bis 1907 existierte. Sie war ein Zweigbetrieb der Hamburger Jalousie- und Holzpflasterfabrik von Heinrich Freese und befand sich in der Weststraße 27 sowie Zeitzer Straße 40.“ Außerdem stellte uns André ein Bild aus seiner Sammlung zur Verfügung, einen Holzstich, der Holzpflasterarbeiten im Saint Louis des 19. Jahrhunderts zeigt. Herzlichen Dank nach Berlin!
Nachtrag im März 2023: „Als ich 1964/66 noch Milch holend von der Nordstraße kommend die Parthenstraße querend zur Rudolf-Breitscheid-Straße lief, musste ich über die Reste der alten Gerberstraße. Diese war damals noch erkennbar holzgepflastert“, ließ uns Lutz wissen. „Da war die Brücke noch beschädigt und rechter Hand eine Flaschen-Gläser-Papier-Annahmestelle, so eine richtig alte Hinterhofsammelstelle. Vor der Chefin hatte man Schiss, sie kam immer von hinten angekeucht. Bei uns wurde sie nur Babajaga genannt.“ Besten Dank, Lutz!