(A.H.) Unser akribischer und stets gut informierter Liebhaber von Industrie- und Gebäudegeschichte, Andreas, widmet sich der Franz-Flemming-Straße, welche früher zur Hälfte Eisenbahnstraße hieß. Wir setzen unseren Spaziergang entlang verschwundener und vorhandener Produktionsanlagen fort.
Franz-Flemming-Straße 17
Die heutige Franz-Flemming-Straße 17 wird 1908 erwähnt als Baustelle der Firma A. Müller Baugeschäft. Von 1913 bis 1920 war die am 21. Februar 1913 gegründete Zieh- und Walzwerk GmbH Nutzer und Mieter auf dem Grundstück. 1920 siedelte das Walzwerk in die Nummer 21 um. Bis 1936 fungiert die 17 als Lagerplatz von Arno Müllers Baugeschäft und Holzhandlung, dann wird die Immobilie an die Springer & Möller AG verkauft und in die Franz-Flemming-Straße 15 integriert.
Franz-Flemming-Straße 17a
Vordere Gebäude erhalten, hintere abgebrochen
Seit 1933 gibt es eine Nummer 17a, Eigentümer ist zu dieser Zeit Fleischermeister Karl Nöckel, produziert werden Fleischkonserven. Spezialität waren Nöckel-Würstchen und Hartwurst. 1957 wird die Firma Karl Nöckel & Söhne, Fabrik feiner Wurstwaren und Herstellung von Wurst- und Fleischkonserven mit Ladengeschäften in der Lützner Straße 43 und der William-Zipperer-Straße 117 erwähnt. 1963/66 führt das Branchenfernsprechbuch für den Bezirk Leipzig unter der o.g. Adresse den VEB Fleischkombinat Delicata.
Franz-Flemming-Straße 19
Baujahr 1907, Totalabbruch etwa 2008 trotz Denkmalschutz-Status
Ernst Wiese gründete seine Firma 1888. Die war 1896 in der Kohlgartenstraße 22 ansässig als Maschinen-Reparaturanstalt. Ob der Betrieb 1895 mit Heinrich Ernst Friedrich Wieses Firma Wagner & Wiese Werkzeug- und Maschinenfabrik, Inselstraße 14-16, identisch ist, bleibt vorerst unklar. Seit 1900 firmiert man als Maschinen- und Zahnräder-Fabrik. In Reudnitz war das Unternehmen bis 1907 tätig. Nutzer und Eigentümer im 1907 neu erbauten Werk in Leutzsch war die Firma Ernst Wiese. Ab etwa 1948 taucht die Bezeichnung Leipziger Zahnräder- und Getriebefabrik auf, und 1950 EKM Getriebebau Leipzig. Die nachfolgenden Nutzer sind noch nicht ermittelt.
Franz-Flemming-Straße 21
Baujahr 1906/07, Totalabbruch etwa 2005/06
1906 errichten Arthur Weinhold und Emil Hiller hier Gebäude für ihre Firma Weinhold & Hiller Fabrik für Feuerungsanlagen. 1916 wird die Produktion in die Franz-Flemming-Straße 7 verlegt, Weinhold & Hiller bleiben aber Grundstückseigentümer. Neuer Mieter wird 1916 die neugegründete Firma Max Singewald & Co. Konservendosen- und Blechwarenfabrik. Diese erwarb 1917 das Grundstück, richtete aber aus Platzgründen schon 1919 ein neues Werk in Rückmarsdorf ein (an der Merseburger Landstraße? Die spätere Rüma?). 1920 wurde die Produktion dorthin verlegt.
Max Singewald (1872-1950) war Fabrikbesitzer, Kunsthändler und Schriftsteller sowie Eigentümer des ehemals Täschner’schen Gutes in Zuckelhausen. Nach dem Kauf 1917 wurde dieses durch ihn grundlegend saniert, außerdem wirkte Singewald in Zuckelhausen als Mäzen. Der umtriebige Unternehmer war 1904 Vertreter von Firmen der Nahrungs- und Genussmittelbranche und hatte sein Geschäft in der Keilstraße 18 in der Leipziger Nordvorstadt. 1905 wechselte Singewald Himmelsrichtung und Branche. In der Südvorstadt wurde er Inhaber der Kautschukstempel- und Typen-Fabrik Max Krolop, mit der Adresse Elisenstraße 42 (heutige Bernhard-Göring-Straße).
1920 verkauft Singewald die Baulichkeiten in der Franz-Flemming-Straße 21 an die Firma Zieh- und Walzwerk GmbH, welche zuvor seit 1913 in der Nummer 17 als Mieter logierte. Dieser Betrieb war eine Präzisionszieherei und ein Kaltwalzwerk und wurde am 21. Februar 1913 gegründet. Um 1928 waren unter dem Geschäftsführer Dr.-Ing. P. Müller etwa 90 Arbeiter und Angestellte beschäftigt. Hergestellt wurden kaltgewalzte, härtbare Qualitätsbandstähle, gezogener Edelstahl, Federbandstahl und Tiefzieh-Bandeisen. Ab 1937 nannte sich die Firma Zieh- und Walzwerk W. Kaiser & Co., nach 1970 und vor 1974 wurde unter der Bezeichnung VEB Bandstahl Leipzig produziert.
Franz-Flemming-Straße 23
Baujahr 1910, Fabrikanlagen erhalten, Kulturdenkmal: Kontor- und Wohnhaus einer Fabrik, mit seitlicher Einfriedung und Toreinfahrt, Putzfassade mit Kastenerkern im Stil eines Mietshauses, Treppenhausfenster mit farbiger Bleiverglasung, Reformstil-Architektur.
Der Ursprung eines der wenigen Unternehmen in Leipzig, welche sich ausschließlich mit der Produktion von Schrauben befasste, lag im Möckern. Dort gründete sich 1895 die Firma Max Arnold & Co. Als Mitinhaber trat 1898 Victor Günther in das Geschäft ein. Letzterer führte den Betrieb ab 1899 mit dem Kaufmann Hermann Andreas fort. Schließlich wurde mit dem Eintritt von Oscar Teichert am 1. April 1900 die Firma Günther & Teichert gegründet. Im Oktober 1900 siedelte das Unternehmen von Möckern in ein neuerrichtetes Fabrikationsgebäude in der Lindenauer Josephstrasse 17 um. Da Ende Juni 1901 Victor Günther aus dem Unternehmen ausschied, wurde ab 1. Juli 1901 der Name Leipziger Schraubenfabrik Oscar Teichert verwendet.
Auf Grund der zunehmenden Ausdehnung des Geschäftsbetriebes wurde 1906 das Grundstück in der heutigen Franz-Flemming-Straße 23 gekauft und dort 1910 ein Neubau errichtet. Dieser wurde 1910 bezogen. In den nachfolgenden Jahren wurde auch exportiert, vor allem nach Skandinavien. Ein großer Teil der Schraubenproduktion wurde anfangs für die Musikbranche benötigt, später wurden vermehrt Erzeugnisse für den Maschinenbau hergestellt.
Die Internationale Baufach-Ausstellung in Leipzig 1913 und die Internationalen Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik (BUGRA) 1914, ebenfalls in Leipzig, wurde von der Schraubenfabrik Oscar Teichert mit einem preisgekröntem Ausstellungsbild bestückt. Gezeigt wurde das Leipziger Stadtwappen in der Größe 3.300:2.840, im Maßstab von 1:34. Dafür wurden 4792 Teile der Blankfabrikation verwendet, die im Einzelnen aus blanken, brünierten, gebläuten Schrauben, Muttern und gedrehten Fasson-Teilen aus Eisen und Metall bestanden.
In den Branchenfernsprechbüchern des Bezirks Leipzig wird bis nach 1950 die Bezeichnung Leipziger Schraubenfabrik Oscar Teichert verwendet, 1952 findet sich der Name TEWA Leipziger Schraubenfabrik, in späteren Ausgaben ist die Firma unter der Rubrik „Schrauben“ nicht mehr zu finden. Spätestens Anfang der 1960er Jahre bis nach 1966 wurde das Gelände vom unweit ansässigen VEB Medizintechnik Leipzig genutzt. Neben der Lehrausbildung war dort u.a. eine Zahnbohrer-Härterei untergebracht. Im Sinne der Konsumgüterproduktion wurden außerdem Heimsprudler-Patronen befüllt.