Bei den Franzosen nannte man die Stunt-Leute Cascadeure („Sturzbringer“), schreibt Jens Rübner, und die Franzosen waren den DDR-Oberen 40 Jahre lang lieber als die Angloamerikaner, also hießen die sportlichen Film- und Bühnen-Wagehälse hierzulande Kaskadeure. Der Paunsdorfer DEFA-Filmfreund hat vor wenigen Tagen sein Buch „Die Unsichtbaren – Kaskadeure in der DDR“ herausgebracht und sich damit lobenswerterweise den weniger bis überhaupt nicht prominenten Mitarbeitern von Film- und Fernsehproduktionen gewidmet. Trotzdem werden bekannte Namen in seinem Buch genannt, sei es, weil Schauspieler sich nicht doubeln lassen oder aber als Kaskadeure angefangen haben. Gojko Mitic wird da unter anderem gewürdigt, als einer, der seine Stunts immer selbst übernahm, oder der spätere Charakterkopf Michael Gwisdek als einstiges Cowboy-Double für Rolf Hoppe.
Auch „Heißer Sommer“, der Ostsee-Musikfilm, der in Leipzig vor der Oper beginnt, ist Thema. Die Mädchengruppe war aus Leipzig, die der Jungs aus Karl-Marx-Stadt, gemeinsames Ziel die Ostsee. Hauptdarstellerin Chris Doerk musste aus einem fahrenden Zug springen, einmal ins Heu und das andere Mal ins Wasser, Chris Doerk war zu der Zeit im dritten Monat schwanger und dementsprechend nicht übermäßig waghalsig. Und schon wird es unbekannter: Pferdekaskadeure wie Wilfried Zander, Kurt Götz und Hans-Uwe Wardeck, letzterer wurde in Leipzig geboren, tauchen auf. Zander war der Chefkaskadeur der DEFA, alle drei wirkten in diversen DDR-Indianer- und ähnlichen Filmen mit. Wir lernen den DDR-Karate-Pionier Axel Dziersk kennen, der Begründer der Artistentruppe „Samurai“ trat u.a. im echten „Waffenschmied“ beim eigentlichen Anschütz-san auf (passender Film: „Sushi in Suhl“). Angenehm plaudernd und anekdotisch erzählend kommt Jens Rübner von einem zum anderen.
Peter Hick, seit Jahren Chef der Störtebeker-Festspiele in Ralswiek auf Rügen, doubelte z.B. Winfried Glatzeder in „Zeit der Störche“ und wurde daraufhin Kaskadeur, später dann Stuntman in der „Schwarzwaldklinik“. Der Judoka Frank Wuttig (Film „Euch werd ich’s zeigen“) bildete mit Roberto Kaiser und Dirk Fiebelkorn die Truppe „Kaskadeure in Aktion“, Wasserspringer Kaiser sprang perfekt aus hohen Höhen in aufgestapelte Pappkartons, u.a. vom Kirchturm in Orlamünde. Die Brüder Hans und Gerd Grzesczak (u.a. „Bereitschaft Dr. Federau“) werden vorgestellt, weiterhin Jürgen Hölzel, Bernhard Schirmer und Klaus Pawollik-Ronay – der Autor hat die Leute wenn irgendwie möglich persönlich getroffen. Das merkt man den lebendigen Texten positiv an! Und Jens Rübner fragt überall nach weiblichen Vertreterinnen des Fachs. Leider bleibt da die Ausbeute dünn, bei Bedarf seien meist Sportstudentinnen engagiert worden. Immerhin fallen die Namen Victoria Dzudek („Die Söhne der Großen Bärin“) und Marion Becker („Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“).
Auf der Suche nach geeigneten Fotos zur Bebilderung dieses Beitrags schauten wir uns aufs Geradewohl in Alt-Paunsdorf um und staunten nicht schlecht über einen Wegweiser Richtung Hogwarts sowie über kaskadeurstaugliche Übungstürme auf einem Sportplatz in der Döllingstraße (hinter den Aktiven Senioren). Wozu dienen diese Himmelsleitern wirklich? Trainiert hier die Feuerwehr? Paunsdorfer, Ihr wisst das bestimmt! Außerdem blickten wir plötzlich Herrn Fuchs ins Auge …
www.defa-filmfreund.de
www.engelsdorfer-verlag.de
Nachtrag am 10.02.: „Kann uns jemand sagen, was es mit diesen Klettertürmen oder -säulen in der Döllingstraße auf sich hat?“, hatten wir auch auf Facebook gefragt. Ronny antwortete: „Das sind die Scheinwerfer für den Sportplatz.“ Und dann bekamen wir von Jürgen B. den Hinweis, dass es sich hier um den Sportplatz der ehemaligen BSG IMO Leipzig handeln würde. IMO = VEB Industriemontagen in der Riesaer Straße. Der Betrieb verfügte offensichtlich über das Material und das Potenzial, um solche Flutlichtmasten aufstellen zu können. Im Internet findet sich nicht viel, aber immerhin ein Bierglas dieser Beitriebssportgemeinschaft mit der Aufschrift „25 Jahre BSG IMO Leipzig / 1951-1976“.