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Luxusmöbel und Geldschränke

Luxusmöbel und Geldschränke

Alles begann mit dem Besuch einer griechischen Gaststätte an der Ecke von Berliner und Hamburger Straße. Freunde hatten sie für einen abendlichen Treff vorgeschlagen, als das noch möglich war. Am nächsten Tag spazierten wir – neugierig geworden – durch die Gegend, vor allem durch die Bitterfelder und die Berliner Straße. Hier stehen sehenswerte Fabrikgebäude, zwei davon zeigten wir auf unserer Facebook-Seite und wissen dank unserer Leserinnen und Leser nun mehr über sie.

Das eine befindet sich an der Ecke von Bitterfelder und Hohmannnstraße. „Was wurde hier produziert?“, fragten wir. Martin, Thomas, Andreas u.a. konnten sich erinnern. Andreas zum Beispiel teilte mit: „Bitterfelder Str. 13 – Ecke Hohmannstr.: Baujahr 1903, Besitzer und Nutzer damals die Firma Thurner & Co. Luxusmöbelfabrik. Bis 1936/1937, dann Firma liquidiert. Ab 1938 Besitzer und Nutzer die Firma Zänker & Dittrich – Metallhalbfabrikate-Großhandlung bis nach 1950. Seit vor 1960 bis mindestens 1963 Versorgungskontor für Maschinenbau-Erzeugnisse Leipzig. Danach ????“ Danke!

Und Desso gab zu: „Da drinnen haben wir früher hin und wieder gekifft. Also das war circa 1997/98, da sah das schon so aus. Im Keller war wie eine Bar, da waren illegale Technoparties …“ Tobias ging zeitlich noch weiter zurück: „Dieses Gebäude war schon in den 80ern eine Ruine.“ Und wieder Desso: „Ich kann mich noch erinnern, dass kreuz und quer in einem kleinen und relativ niedrigen Raum im Eingangsbereich des Kellers eine Art elastisches Spinnennetz gespannt war, total symmetrisch – das hätte die Ordnungshüter, im Falle ihres Aufkreuzens, erstmal ordentlich ausgebremst und man hätte über die andere Seite abhauen können … Ich meine, dass sich die Veranstalter ‚Sektor‘ genannt haben. Die hatten auch in einem anderen Gebäude in der Hohmannstraße eine illegale Party, die wurde allerdings von der Polizei aufgelöst und dann standen massenhaft Leute auf der Straße.“ Äußerst interessant!

Die zweite alte Fabrik fiel uns in der Berliner / Ecke Apelstraße auf. Vom Giebel oben winkte ein Radfahrer. Hier half u.a. Heike weiter: „Als Fahrradfabrik der Lipsia-Fahrrad-Industrie-AG erbaut, diente dieses Eckgebäude ab 1900/01 als Fabrik der Carl Kästner AG (Geldschrankfabrik & Tresorbauanstalt), die Geldschränke und Tresore herstellte. Der Tresorhersteller räumte etliche erste Preise ab von Merseburg bis Moskau. 1823 in Leipzig gegründet, war die Aktiengesellschaft bis 1927 in Leipzig und Berlin angemeldet. In der DDR setzte sich die Geschichte mit der Stahlschrankfabrik Feuerfest Leipzig fort.“ Zu Franz Jäger Berlin bzw. Carl Kästner Leipzig ergänzte sie: „Gegründet 1823 durch den Schlossermeister Carl Kästner. Im Dezember 1900 in eine AG umgewandelt unter Übernahme des Aktienmantels der Lipsia-Fahrrad-Industrie AG.“ Super!

Thomas steuerte Folgendes bei: „Während des Bombenangriffs in den frühen Morgenstunden des 4. Dezember 1943 wurde das Gebäude Berliner Str. 69 durch Brandbomben stark zerstört. Das gesamte Dach war weg und alle Fenster zerstört. Der Brandschaden war in allen Etagen erkennbar. Das im Hof befindliche Heizhaus war total zerstört, so dass das Haus vorerst auch nicht beheizt werden konnte. Nach dem Krieg wurden im August 1945 die Räume im Keller, Erdgeschoss und der 1. Etage dem Betrieb ‚Feuerfest‘ zugeschrieben. Zunächst wurden einfachste Konsumgüter wie Kochplatten, Gartengeräte und Küchengeräte hergestellt. Bald konnte aber die Geldschrankproduktion wieder aufgenommen werden.

Die Produktionsräume in der 2. Etage gingen an die Firmen DGL-Pressler und Visomat, die beide in der Glockenstraße ausgebombt waren. Pressler stellte Glimmröhren, Blitzröhren und Fotozellen her und Visomat hatte das Patent der Fotozellenprüfung inne. In der 3. Etage war bis 1977 ein Betrieb angesiedelt, der Arbeitsschutzbekleidung herstellte. Bevor aber nach dem Krieg wieder produziert werden konnte, leisteten die im Gebäude angesiedelten Betriebe gemeinsam Aufbauarbeit. Zunächst wurde das Dach abgedichtet. Die Mitarbeiter, die handwerklich geschickt waren, mauerten Hilfspfeiler, in die dann Notfenster eingesetzt wurden, so dass das Gebäude bis zum Wintereinbruch 1945 dicht war und schrittweise die eigentlichen Produktionen wieder aufgenommen werden konnten.“

Stark! Woher weiß Thomas das nur alles? „Ich habe dort gearbeitet“, verriet er auf Nachfrage. Und wir haben auch noch was, nämlich das Foto eines Carl-Kästner-Geldschranks. Durch Zufall entdeckten wir einen solchen vor kurzem in den Räumen des Burghausner Heimatvereins am Bienitz. Eine weitere Kuriosität stellt der Name Raduga dar. Heute heißt ein Club in der Berliner Straße so, früher stand der Name auf dem russischen Farbfernseher von Oma und Opa.

Herzlichen Dank an alle, die mitgeholfen haben!