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Rote Front, gelbe Front

Rote Front, gelbe Front

An der Kreuzung von Mockauer und Friedrichshafener Straße steht die Rote Front, ein beeindruckender Gebäudekomplex aus den 1920er Jahren – in dem Jahrzehnt wurde aus unserer heutigen Sicht verblüffend viel im Auftrag der Stadt gebaut. Die Rote Front entstand nach einem Entwurf von Hubert Ritter, dem wir unter anderem auch den Rundling in Lößnig zu verdanken haben.

Doch: „Alles Engagement auf dem Bausektor konnte die Wohnungsnot nicht beenden. Noch 1927 hatten in Leipzig 26 000 Familien keine eigene Wohnung.“ Ein Zitat aus „Bauhaus und Art déco – Architektur der Zwanzigerjahre in Leipzig“ von Bernd Sikora und Bertram Kober; gemeint sind unter Garantie Mietwohnungen. Da sind wir inzwischen wahrlich besser dran. Wohnraum findet man. Wenngleich Stadt und Land den Abriss von Miethäusern zuweilen sogar fördern …

Hubert Ritter, so erfahren wir in „Leipzig – Baumeister und Bauten“ (1990), stammte aus Nürnberg und „wirkte von 1925 bis 1940 in Leipzig“, von 1926 bis 1934 als Stadtbaurat. Beteiligt war er unter anderem an den Entwürfen der Großmarkthalle („Kohlrabizirkus“), baute das Westbad am Lindenauer Markt und die Wohnanlage in der Faradaystraße sowie die in der Bienitz-, Heimteich- und angrenzenden Straßen, auch die Häuser in der Thaerstraße am Eutritzscher Markt und einige mehr.

Viele davon sind mittlerweile saniert und sehen bis hin zur Farbgebung wieder richtig gut aus – ebenso die Rote Front mitsamt ihrer grünen Jalousien und Türen. Als Bollwerk (= Front) steht sie, wenn man von Schönefeld kommt, beeindruckend hinter gemütlichen Kleingärten. Zwei Türme mit Arkadengängen, die norddeutsche Backsteingotik zitieren, „bewachen“ den Zugang nach Mockau, geziert von Art-déco-Bekrönungen. – Und wer sich dann in der Mockauer Straße nach rechts wendet, entdeckt die „Gelbe Front“, sehr kräftig in der Farbe. „Leipzig wird gelb“, heißt passend dazu eine aktuelle Marketing-Drohung …

Das detail-, informations- und bilderreiche Buch „Eine Wohnung für alle“ über die Geschichte des kommunalen Wohnungsbaus in Leipzig zwischen 1900 und 2000 führt die Rote Front selbstverständlich auch auf und bemerkt über Hubert Ritter: „… war die Tätigkeit Ritters in Leipzig aber dadurch begünstigt, daß er sein Amt in Leipzig zu einem Zeitpunkt antrat, als die städtische Bautätigkeit vor ihrer größten Blüte stand. Insofern steht er für jene Generation junger Architekten in Deutschland, die während der Zwischenkriegszeit dank einer Hochkonjunktur im Bauwesen das Bild der Städte weit stärker prägen konnten als ihre Vorgänger oder Nachfolger.“

Nachtrag im April 2021: Aus gelb wurde grau.