Von Julius bekamen wir das Buch „Wirtliches an der Pleiße“ empfohlen, ein 1991 in Hanau im Verlag Die Quetsche erschienenes Sammelwerk von Helmut-Henning Schimpfermann. Wir wurden sofort im Antiquariat vorstellig und fragten uns, welches Interesse an Leipziger Kneipen, Kaschemmen und Cafés ein Hanauer gehabt haben könnte.
Als wir das Buch in den Händen hielten, löste sich das Rätsel im Vorwort. Schimpfermann stammte aus Leipzig, Connewitz, geboren 1945 im Bethanien. Als junger Erwachsener verschwand der gelernte Journalist (u.a. Mitteldeutsche Neueste Nachrichten, Organ der NDPD, ansässig in der Thomasiusstraße / Ecke Jahnallee) in den Westen des Landes. Nach Verjährung dieser Un-/Tat besuchte er die alte Heimat regelmäßig und betrieb lobenswerte gastronomische Feldforschung.
Das heißt, Schimpfermann und Frau liefen ohne Internet und Navi durch die hiesigen Straßen auf der Suche nach bestehenden und „erloschenen“ Lokalen, sie fotografierten und notierten und brachten schließlich ihre Bestandsaufnahme auf bedrucktem Papier heraus. „Es soll verhindert werden“, schrieben sie, „daß in Zeiten eines ökonomischen Umbruchs manches unwiderruflich in Vergessenheit gerät, was gerade auf dem gastronomischen Sektor schnell passieren kann.“ Und was, wie wir heute wissen, auch passiert ist!
Doch nun besitzen wir ja das Buch und entdecken darin Gast- und Beherbergungsstätten wieder, die vom stetigen Schwall der Neuigkeiten bereits in die hintersten Gedächtnisfächer gedrängt worden waren, das Café am Brühl am Richard-Wagner-Platz, das Hotel Norddeutscher Hof in der Löhrstraße oder das Ziel in der Kurt-Eisner-Straße, die Alte Post in der Erich-Weinert-Straße (= Ernst-Pinkert-Straße), die Vogtländische Hutzenstube in der Holsteinstraße oder das Böttgereck in der Riesaer Straße usw. usf.. Die Auflistungen gehen weit über die Innenstadt hinaus, erfassen das gesamte 1991er Stadtgebiet.
Vieles, was wir lange suchten, finden wir bei Schimpfermann, darüber hinaus Wendezeitenfotos und Speisekartendetails. Ein Träumchen! Danke an den (leider 2014 verstorbenen) Datensammler! Danke an unseren Tippgeber Julius!
Wird fortgesetzt. Im zweiten Teil greifen wir ein paar Einzelheiten heraus.
Nachtrag im Mai 2017: Wir haben den Brunnen fotografiert, der den Buchtitel ziert. Er gefiel uns schon in den Achtzigern, als er aufgestellt wurde. Bis heute findet man ihn an der Ecke von Karl-Liebknecht- und Richard-Lehmann-Straße.