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Anglerstühle aus Gohlis, Teil 2

„Ich trage, wo ich gehe, stets einen Stuhl bei mir“, lautete der Werbespruch des ERKASO*-Taschenstuhls, der aus Gohlis kam und als ständiger Begleiter „unentbehrlich für alle Wanderer, Landschaftsmaler, Angler, Jäger und Sportler“ sein sollte. Familiären Erinnerungen zufolge feiert dieses Nebenprodukt der Spielwarenfabrik aus der Luisenstraße 2023 sein 100jähriges. Erich Kittel (1902-1984), Sohn des Gründers Richard Kittel, war 1923 als Kaufmann ins Unternehmen eingetreten, was den Vater entlastete und so Neuentwicklungen möglich machte.

Um den Versand in alle Welt einfach und preiswert zu gestalten, hatte der Senior bereits die Puppenbetten zusammenklappbar und leicht konzipiert, da musste der ebenso leichte und klappbare Taschenstuhl bzw. Anglerhocker fast zwangsläufig entstehen. Der oben zitierte Slogan dafür bezieht sich auf ein seinerzeit bekanntes Volkslied von Johann Gabriel Seidl und Carl Loewe, „Ich trage, wo ich gehe, stets eine Uhr bei mir“. Leider aber konnte der Gohliser Handwerkswerkbetrieb in Sachen Anglerstühle keine großen wirtschaftlichen Erfolge feiern, stattdessen wurde er in dieser Angelegenheit von den Preisen der japanischen Industrie überrollt. Die Sicherung des Weltpatents hatte man sich aus Kostengründen nämlich verkniffen**.

Und so verwundert es nicht, wenn die Deutsche Spielwaren-Zeitung in ihrer Ausgabe vom Oktober 1930 über 30 Jahre Eisenspielwarenfabrik Richard Kittel in Leipzig fabuliert, ohne den Klappstuhl auch nur zu erwähnen: „Eine der bekanntesten und beliebtesten Firmen für den Artikel Puppenbetten und Puppenwiegen ist die Firma RICHARD KITTEL in Leipzig. Am 1. November sind es 30 Jahre, seit Herr Richard Kittel diese Firma gegründet hat und sie mit eisernem Fleiß, anfangs unter Entbehrungen, aus den kleinsten Anfängen zu ihrer heutigen Bedeutung heraufgeführt hat. Es ist eigenartig, wie die Entwicklung der Betriebe in unserer Industrie oft verläuft. Während die einen eine außerordentlich vielgestaltige Fabrikation bewältigen, verlegen sich gerade bei bestimmten Spielwaren die Fabrikanten auf irgendeine Spezialität. So ist es auch mit den von der Firma Kittel fabrizierten Puppenbetten und Puppen-Wiegen.

Auf alle Fälle hat die Firma Richard Kittel bewiesen, daß man mit der Konzentration auf einen Spezialartikel Außergewöhnlichers erreichen kann. Man ist wirklich erstaunt, wenn man z.B. am Meßstand der Firma die Kollektion betrachtet und dort anschaulich vorgeführt bekommt, wie vielerlei Artikel nach Gestalt und Preis sich in solchen Spezialartikeln erzielen lassen. Eine solche Steigerung des Spezialistentums ist jedoch nicht möglich dadurch, daß sich jemand einzig und allein auf sein Gebiet verbohrt – im Gegenteil, sie ist nur dann erfolgreich, wenn die Spezialisierung in stetem Kontakt und in steter Fühlung mit den allgemeinen Fragen und Dingen der Branche geschieht. In der Tat hat Herr Richard Kittel seinen Erfolg sicher nur dem Umstand zuzuschreiben, daß er sich stets um solche allgemeinen Fragen gekümmert und in sie aktiv eingegriffen hat, hatte er doch bei dem Verband und bei der Zentralstelle in Leipzig und bei den verschiedenen Messe-Ausschüssen mitgearbeitet. In der Leitung des Betriebes steht Herrn Richard Kittel sein Sohn C. Kittel tatkräftig zur Seite. Wir wünschen und hoffen, daß dem Jahr des 30jährigen Bestehens ein weiterer glücklicher Aufstieg folgen möchte.“ Beim C irrten sich die Kollegen, richtig wäre ein E für Erich gewesen.

Abschließend möchten wir die „Conditionen“ einer ERKASO-Preisliste aus den frühen 1920er Jahren in Erinnerung rufen und die Gelegenheit nutzen, uns über die alte Kaufmannssprache zu wundern: „Die Preise verstehen sich ab Leipzig, zahlbar gegen meine Tratte, 3 Monat dato der Factura, Netto, oder per Cassa innerhalb 30 Tagen mit 2% Sconto; Beträge unter M. 20,- sind innerhalb 30 Tagen ohne Sconto-Abzug einzusenden. Emballagen werden zum Selbstkostenpreis berechnet, aber nicht zurückgenommen.“ Die Verkaufsbedingungen wurden damals auch in Französisch, Englisch und Spanisch abgefasst! Die Stühle („preiswert und dauerhaft“) übrigens waren je Stück ab 85 Pfennig zu haben, die Segeltuchtasche dazu ab 35 Pfennig. Es gab drei verschiedene Größen und ebenfalls drei verschiedene Tische mit zusammenlegbaren Platten („unentbehrliche Helfer bei Karten- und Brett-Spielen“ im Freien).

* Richard Kittel & Sohn = R.K. & Sohn = ErKaSo
** Trotzdem produzierten die Gohliser ihre mobilen Sitzgelegenheiten bis zur kriegsbedingten Betriebsschließung im Jahr 1940.

wird fortgesetzt

Nachtrag: Ein inklusive des Sitzbezugs original erhaltener Erkaso-Taschenstuhl konnte bei Eva und Hans-Werner Trapp in Gohlis bis heute überdauern, auch mindestens ein Puppenbett aus der Kittelschen Eisenwarenfabrik ist noch vorhanden.