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Die Leipziger Wirren

Die Leipziger Wirren

In unserem Beitrag „Grüße aus Taucha und Markkleeberg“ (Februar 2024) kamen wir kurz auf die Leipziger Wirren zu sprechen, jetzt wird es deutlich länger. Auszüge aus drei lokalhistorischen bzw. regionalgeschichtlichen Büchern schildern die Geschehnisse von 1216/17, an denen neben Markgraf Dietrich dem Bedrängten (1162-1221) auch Kaiser Friedrich II. (1194-1250) beteiligt gewesen ist. Für die Leipziger ging die Sache nicht gut aus.

Rudolf Kötzschke in „Heimatgeschichte für Leipzig und den Leipziger Kreis“ (1927):

„Ein weit schärferer Kampf entspann sich zwischen der aufstrebenden Stadt und dem Markgrafen Dietrich von Meißen; ein Teil der Bürger griff wider ihn zu den Waffen, auf Jahrhunderte hinaus in der Stadtgeschichte das einzige Vorkommnis einer gewaltsamen Erhebung der Bürgerschaft wider den fürstlichen Landesherrn. Die Vorgänge spielten sich auf dem Hintergrund einer an großen Gegensätzen stark bewegten Zeit ab: Kaisertum und Papsttum, deutsche Krongewalt und Landesfürstentum, Staufer und Welfen, standen im Ringen miteinander.

Soeben war der junge Staufer, Friedrich II., von Papst Innocenz III. begünstigt, nach Deutschland geeilt, um dort sein angestammtes Herrschaftserbe anzutreten; ihm gegenüber suchte Otto IV. von Braunschweig, der Welfe, sich auf Besitz in Thüringen und Sachsen zu stützen. Markgraf Dietrich von Meißen hielt zunächst an ihm fest (1213); indes von einer starken Übermacht bedroht, wobei die bis Geringswalde vordringenden Böhmen übel hausten, fand er bald seinen Anschluß an König Friedrich, dem er bereits im Herbst 1214 mit wichtigem Rat beistand, während sächsische Fürsten damals noch auf Seite des stammesverwandten Otto ausharrten.

Wenig später brachen die Leipziger Wirren aus. Schwerlich wurzelten sie in Bestrebungen der großen Politik; vielmehr handelte es sich um eine Auseinandersetzung mit der machtvoll um sich greifenden landesfürstlichen Gewalt. Markgraf Dietrich war im Begriff, den meißnischen Landesstaat fester zu gründen und auszugestalten.“

„In solch wirrer Zeit entstand eine Verschwörung gegen Dietrich unter den ritterlichen Dienstmannen; als Ursache wird der Druck, den Vögte und Fronboten mit der Steuererhebung gegen die bäuerlichen Hintersassen der Ritter übten, bezeichnet … Einige Dienstmannen versuchten, den Markgrafen zu Eisenberg ums Leben zu bringen (am 5. Dezember 1215); durch die Umsicht einer Dienerin im dortigen fürstlichen Haushalt ward dies vereitelt. Andere brachten die Nachrricht, daß der Markgraf tot sei, nach Leipzig und gaben vor, die Stadt der Markgräfin und ihrem kleinen Sohne bewahren zu wollen. Die Bewegung gegen Dietrich griff nun rasch um sich; in erbittertem Kampfe ward das Land mit Plünderung und Brandschatzung heimgesucht.

Es tauchte sogar der Gedanke auf, die Stadt dem Kaiser Otto oder dem Erzbischof von Magdeburg zu übergeben, ein Vorgehen, das Leipzigs Aufstieg zur freien Reichsstadt hätte zur Folge haben können. Indes Verhandlungen … führten zu einer Sühne. Ein Vertrag ward am 20. Juli 1216 abgeschlossen: Markgraf Dietrich gewährte eine Bestätigung des von seinem Vater Otto den Leipzigern verliehenen Stadtrechts …

Indes verharrte er bei dem Groll gegen die Bürger, ohne deren Beihilfe seine Gegner die Stadt nicht hätten solange halten können. So nutzte er eine sich bietende Gelegenheit, um sich Leipzigs in einem Anschlag zu bemächtigen und die von ihm stark empfundene Demütigung zu rächen. Als König Friedrich im Herbst 1217 nach einem siegreichen Zuge gegen Otto IV., dessen Macht nun völlig zusammengebrochen war, aus Sachsen südwärts heimkehrte, kam er in Begleitung des Markgrafen Dietrich vor Leipzig. Die Bürger konnten es nicht weigern, dem König Einlaß zu gewähren. Der Markgraf sorgte dafür, daß seine Rittersleute in unauffälliger Zahl zu den verschiedenen Toren in die Stadt gelangten und sich vorsichtig in ihren Herbergen hielten …

Auf ein gegebenes Zeichen hin nahmen die Ritter ihre bürgerlichen Wirte gefangen; Hab und Gut wurden geplündert. So ward Leipzig zur Unterwerfung gebracht. Der Markgraf ließ die Mauern niederreißen und drei Befestigungen (castra) anlegen: als die wichtigste das spätere Schloß (an der danach genannten Gasse, die sogenannte alte Pleißenburg), wodurch eine der großen Verkehrslinien der Altstadt, die Petersgasse, wie auch die Burggasse  gegen das Thomasstift hin beherrscht wurde. Die beiden anderen, die nicht auf die Dauer erhalten blieben, lagen unweit des Tores der Grimmischen Gasse … und nahe dem Ranstädter Tor“.

Steffen Raßloff in „Mitteldeutsche Geschichte – Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen“ (2016):

„Dietrich der Bedrängte (reg. 1195/98-1221), zweitältester Sohn Ottos des Reichen, verdankt seinen Beinamen den schwierigen Ausgangsbedingungen seiner Herrschaft. Zunächst hatte Heinrich IV. im Rahmen seiner Bestrebungen zur Ausweitung kaiserlicher Macht das Markgrafen-Lehen eingezogen und einem Verwalter übergeben. Nach dem baldigen Tode des Kaisers konnte sich Dietrich jedoch mit Unterstützung Landgraf Hermanns von Thüringen, seinem Schwiegervater, als Markgraf durchsetzen. In den staufisch-welfischen Thronstreitigkeiten wechselte er mehrfach die Fronten und sicherte so die wettinischen Interessen. Beim Landesausbau setzte Dietrich die Politik seiner Vorgänger fort und bekämpfte Konkurrenten im Inneren, wie etwa die aufstrebende Bürgerschaft in Leipzig 1216/17.“

Hans Albert Förster in „Leipzig – Geschichte und Ausblick“ (1952):

„Kurz nach der Stadtgründung lief den Leipzigern die Galle über. Sie revoltierten 1216 gegen die Vögte des Markgrafen Dietrich des Bedrängten. Grund dazu war reichlich vorhanden. Der robuste Markgraf kam ergrimmt herbei und schlug sie brutal aufs Haupt. Der Aufstand brach zusammen. Es war das erstemal, daß die Leipziger sich mit Waffen gegen die staatliche Obrigkeit wandten.

Von nun an verlief die Entwicklung ähnlich wie in Frankreich: die Herrschaft blieb bei den Markgrafen und später bei den Kurfürsten (in Francien bei den Königen), die einerseits das Hochkommen städtischer Machthaber (Patrizier) verhindern halfen, andererseits aber das Stadt- und Gemeinwohl durch Sonderrechte aller Art förderten. Sie taten dies besonders dann, wenn sie sich damit selbst nutzten, d.h. durch Erheben von Abgaben, Sondersteuern usw. Die Markgrafen hatten schnell begriffen, was ihrem Wohlbefinden diente. Leipzig sollte nie eine freie Reichsstadt werden.

Der Aufstand von 1216 hatte noch eine besondere Note. Ganz privat war mit Dietrich die höchste Autorität des Abendlandes erschienen, um dem Gemetzel zuzusehen: Friedrich II., der geniale Hohenstaufe und Enkel Barbarossas, den man später den ersten modernen Menschen genannt hat.“

Unser Beitragsbild stammt vom Umschlag der Leipziger Heimatgeschichte und zeigt eine Nachbildung des ersten Stadtsiegels von 1287.