„Zeitgenössische Lyrik gilt … als ein schwer verständliches Nischen-Genre, für das lediglich eine kleine Zahl von Szene-Enthusiasten oder Dichterkollegen zu gewinnen sei“, schreiben die Herausgeber der in Leipzig-Eutritzsch bei Reinecke & Voß verlegten „Denkzettelareale“, eines Bandes junger Lyrik. Nichtsdestotrotz ist das mit 430 Seiten ziemlich dicke Buch erschienen – mit einem ungewöhnlichen Ansatz: Es enthält neben Gedichten immer auch Würdigungen und Selbsteinschätzungen.
33 Lyrikerinnen und Lyriker werden jeweils von einem Paten vorgestellt, darauf in eigenen Werken und schließlich in einer von ihnen verfassten Erklärung ihrer Arbeit. Nicht wenige Autorinnen und Autoren aus unserer Stadt sind dabei, gebürtige und solche, die hier studiert und/oder Leipzig zu ihrer Heimat erwählt haben – Thomas Böhme, Julia Dathe, Carl-Christian Elze, Jayne-Ann Igel, Jan Kuhlbrodt, Marlen Pelny, Kerstin Preiwuß sowie der Verleger Bertram Reinecke*.
Nicht alles, was die 33 zu Papier gebracht haben, gefällt auf Anhieb, aber vieles. Vertieft man sich in die „Denkzettelareale“, scheint es einem, als führe man lauter angenehme Gespräche, in denen man die interessanten Gedanken anderer kennenlernen darf. Denn wer nicht neugierig ist, lernt nichts Neues kennen und langweilt sich irgendwann (möglicherweise schon jetzt).
„Wenn man sich überlegt, dass vielleicht 150 Leute im Land gute Gedichte schreiben und keiner davon leben kann“, setzt zum Beispiel Markus Hallinger an, um die allgemeine Anerkennung der Dichtkunst im Vergleich mit anderen Künsten, z.B. der Malerei, zu diskutieren. „es ist ein irrtum / zu glauben in einem / gedicht könne man sich / ausruhen“, stellt ein paar Seiten später Undine Materni auf originelle Weise fest.
Und Birgit Kreipe meint: „Zu den Motiven der Gedichte gehören ja nicht nur konkrete Lebenserinnerungen, sondern auch Dinge und Ereignisse, die nicht geschehen sind, deren Nicht-in-die-Welt-gekommen-Sein die Gedichte bedauern. Als wären Erinnerungen da, die in Wirklichkeit Erwartungen sind. Die sich auf Ereignisse richten, die auf magische Weise greifbar sind, obwohl sie nie stattgefunden haben …“
Das sind nur drei von unzähligen Anfängen für aussichtsreiche Auseinandersetzungen verbaler Natur. Hinzu kommen die Gedichte an sich. Aber die lest Ihr am besten selbst! Großdichter Goethe (1749-1832), dessen Denkmal am Naschmarkt wir zur Illustration dieser Besprechung nutzen, war während seiner Leipziger Zeit (1765-68) übrigens auch ein junger Lyriker …
* siehe auch unsere Beiträge „Leere Container“ (Dezember 2017), „Vor der Buchmesse 3“ (März 2019) und „Leipziger Literaten“ (Oktober 2012)