Im November 2007 erschien in der Edition PaperOne, welche zeitweise in der Merseburger Straße saß, am Laden steht heute Hafen, Michael Schweßingers Lindenau-Kompendium „Von Seemännern und anderen Gestrandeten“. Es enthält poetisch-dokumentarische Beobachtungen aus dem Leipziger Westen und liest sich mittlerweile wie ein Buch aus einer anderen Zeit.
Die von Michael Schweßinger gern besuchten und beschriebenen Kneipen Hugo (a.k.a. Bei Heinz a.k.a. Strafbar) und Graue alias Blaue Perle haben geschlossen (März 2015: Die Blaue Perle schenkt wieder aus!). Dafür ist Neues in der oberen Merseburger Straße entstanden, z.B. das Süß + Salzig. „Genaugenommen hätte Bei Heinz eigentlich Bei Tina heißen müssen; denn Heinz selbst habe ich noch nie in seinem Laden gesehen; Tina hingegen stand fast immer hinter dem Tresen“, erfahren wir beim Blättern.
„Manchmal, wenn ich dieses leuchtende Schild Bei Heinz schon von der Lützner Straße aus sah und langsam die Merseburger Straße hinaufschlenderte, mit der Absicht, dort das eine oder andere Bier zu trinken, kam mir der Gedanke, Tina einfach danach zu fragen, was es denn mit dem Namensgeber der Kneipe auf sich hätte. Doch immer, wenn ich dann das Lokal mit dieser Absicht betrat, war Tina in einer so miserablen Stimmung, dass ich mein Vorhaben unterließ.“
Die Komödienklause in der Musikalischen Komödie und auch Reuschels existieren noch und schon länger, beide geführt von gastronomischen Originalen (siehe unsere Beiträge „Ein Däne in der MuKo“, Dezember 2012, und „Bei Reuschels“, Januar 2013). Die Gute Quelle in der Erich-Köhn-Straße 98 / Ecke Georg-Schwarz-Straße lebt nur noch in der Erinnerung, von ihr ist 2014 nichts mehr zu sehen (2019 gibt es sie wieder).
Ebenfalls zu den Alteingesessenen im Westen gehört das Gambrinus in der Odermannstraße / Ecke Lützner Straße. Hier waren wir schon in den 1980ern als Jugendliche Bier trinken, weil der Wirt auf einen Blick in die Ausweise verzichtete. Das Lokal hat durchgehalten und verfügt u.a. über einen unerwartet romantischen Biergarten und freundliche Preise. (Juli 2016: Leipzigs DSDS-Überraschung Thomas Katrozan empfiehlt das Gambrinus in der LVZ-Beilage „Theke“.)
Auch bereits 20 Jahre durchgehalten hat die Schaubühne Lindenfels, die unserer Meinung nach älteste Ausgehstätte unter den neueren in der Karl-Heine-Straße und Umgebung. Wir waren gerade erst mit Tina dort, einer anderen als der von Michael Schweßinger beschriebenen, und erfreuten uns an an roter Limo (offizieller Name: Fass- oder Himbeerbrause) in 0,25-Liter-Quick-Cola-DDR-Flaschen von Duponia aus Calbe, an Kartoffelecken für 3 Euro, Pommes Frites für 2 Euro, Glühwein (schmeckt!) für 2,40 Euro und Fritz-Cola für 2,10 Euro. Über die Rauminstallation im Eingangsbereich wunderten wir uns, sie steht bis zum Ende des Jahres und wird so erklärt:
„Vor 20 Jahren war der Empfangsort des ‚Lindenfels‘ ein typisches Kassenfoyer: Kommunikation fand durch eine Glasscheibe und ein Guckloch statt, durch welches die Tickets gereicht wurden …“ Die Schaubühnen-Macher nahmen die Wände, die augenblicklich zur Erinnerung an diese Zeit provisorisch wieder stehen, zugunsten von mehr Offenheit raus. Entstanden ist ein großzügiges Lokal mit wirkungsvollen Jugendstiltüren und irgendwie französischem Charme; toll ist im Sommerhalbjahr die Terrasse, eine halbe Treppe über der Straße.
(wird fortgesetzt)
Nachtrag am 02.09.2016: Schade, schade! Der Wirt der Komödienklause, Jürgen Meißner, hört auf. Sein Mietvertrag wurde nicht verlängert. Mit ihm verlässt ein Original die gastronomische Bühne. Außerdem wird das gemütliche Lokal laut Pressemitteilung aus der Oper nun „erneuert und umgestaltet“ und sieht danach ganz sicher anders aus.
(siehe dazu auch unseren Beitrag „Ein Däne in der MuKo“ vom Dezember 2012)