Fotomotive Historie

LSR und LSK

LSR und LSK

(N.L.) Ich hab zu meiner Verwunderung doch noch einen entdeckt, an einem Haus in Lindenthal ist er noch sichtbar: Ein heller, weißer Schriftzug mit historisch-dunklem Hintergrund. Früher konnte man die drei Buchstaben öfter sehen, an unsanierten Häusern, grauen Mauern, ruinösen Fassaden. LSR ist heute für viele junge Menschen eine unbekannte Abkürzung, bei älteren hingegen erzeugt diese Markierung im öffentlichen Raum Unruhe, gar Gänsehaut. Warum?

Vor langer Zeit – ich bin über 50 – bekam ich auf meine kindliche Frage von meiner im Leipziger Süden wohnenden Oma die Erläuterung: LSR bedeutet Luftschutzraum. Man kennzeichnete mit dieser Abkürzung das Vorhandensein eines solchen Schutzraums. Mancherorts verwies zudem ein Pfeil als Richtungshinweis auf dessen Eingang. Der Luftschutzraum befand sich meist in einem besonders geeignet erscheinenden, „sicheren“ Keller eines Wohnhauses. Im Zweiten Weltkrieg, so erzählte meine Oma, war es ausgesprochen wichtig, ja überlebenswichtig, zu wissen, wo sich am momentanen Aufenthaltsort eine derartige Unterkunft befindet. Sei es in der Nähe der heimischen Wohnung, beim Restaurant-, Kino- oder Theaterbesuch. Man schaute sich sicherheitshalber vorher um, bevor man in die Oper ging, erzählte sie.

Man mischte zu der weißen Farbe wenn möglich Phosphor, um ein Leuchten des Hinweises auch in der Nacht zu erreichen, denn im Falle eines Falles erhellte keine Straßenlaterne mehr die Umgebung, fiel kein Licht aus verdunkelten oder gar schwarz getünchten Wohnungsfenstern auf die Straße. Wenn die Sirenen heulten, sollte es schnell gehen, und man war froh über jeden sichtbaren Hinweis LSR (Luftschutzraum) oder LSK (Luftschutzkeller). Dann strömten die Menschen schutzsuchend in diese Räume, in denen sie dann dicht gedrängt in die vermeintliche Stille lauschten. Nicht immer war es ein Probe- oder Fehlalarm. Dann drang das Dröhnen der Bombermotoren auch unter die Erde. Die Hoffnung auf diesmaliges Verschonen wich, wurde das Dröhnen lauter, von der Decke und den Wänden rieselnder Putz zeugte von nahen Einschlägen. Zu der Angst vor dem Tod gesellte sich die Angst vor Verschüttung. LSR und LSK – nun wisst Ihr, was es bedeutet, wenn Ihr ein solches Zeitzeugnis entdeckt.

Wir danken unserem alten Freund und Mitstreiter Norbert für diesen Beitrag!

Nachtrag 1: Wortblende-Blogger Harald holte für uns die zum Thema passende Otto-Runki-Straße 18 (Neuschönefeld, abgerissen, heute Rabet-Park) aus seinem Archiv. Es werden noch weitere Bilder folgen, wie das von Tobias, der einen LSR-Schriftzug aus Eisenberg schickte und später einen weiteren aus Meißen. Danke, Harald! Danke, Tobias!

Nachtrag 2: Olaf schrieb uns: „Wir haben früher in der Südvorstadt in der Schlegelstraße gewohnt. In unserer Straße war in einem Hauseingang (ich glaube Nr. 5) an der Kellertreppe ebenfalls ein Hinweis auf einen LSK angebracht. Neben der Hauseingangstür waren auf einer kleinen Tür die Angriffe, deren Dauer und die Anzahl der jeweiligen Personen im Keller vermerkt. Für uns als Kinder (ich bin Jahrgang 64) war das einfach unvorstellbar.“ Danke, Olaf!

Nachtrag 3: Im März 2020 konnten wir in einem Keller in Wahren die Aufschrift „Schutzraum – 24 Personen“ fotografieren und bekamen von Ronny zwei tolle Fotos aus Engelsdorf („unterm Reichsbahnwerk“). Danke, Ronny!

Nachtrag 4: LSR im Kellergang, Riesenhinweis in Schleußig, gesehen im Oktober 2020. +++ Franziska ergänzte dazu im April 2023: „In den Nachträgen zum Beitrag vom 20.11.2019 zum Thema Hinweise auf Luftschutzräme/-Keller an Leipziger Gebäuden findet sich das Bild der Aufschrift ‚LSR=Luftschutzraum‘ auf dem Gebäude Brockhausstr. 6. Ich wohne in der benachbarten Brockhausstr. 4. In meiner Kellerparzelle ist deutlich zu erkennen, dass es einen Übergang zwischen den Häusern 4 und 6 gegeben hat, der wieder zugemauert wurde. Keine Ahnung, ob euch das interessiert. Ich dachte, ich werde es mal los, dass die Geschichte in meinem Keller etwas konserviert hat.“ Danke, Franziska, ja, das finden wir sehr interessant!

Nachtrag 5: Auf die Neuigkeiten von Franziska hin erklärte Stefan auf unserer FB-Seite: „Die Übergänge von einem in das andere Haus waren immer zugemauert, allerdings eben nur mit einer dünneren Wand, die mit relativ einfachen Mitteln durchbrochen werden konnte. Deswegen lagen/hingen üblicherweise geeignete Werkzeug in Reichweite.“ Danke, Stefan!

Nachtrag 6: Zu Ostern 2024 sahen wir einen LSR-Schriftzug in der Holsteinstraße sowie einen Pfeil mit sicherlich derselben Bedeutung. Wolf-Hartmut schrieb dazu: „Das war für uns damals (50er, 60er Jahre) ein ganz normaler Anblick. Hieß für uns auch ‚Lerne Schnell Russisch‘.“