Bei Minusgrad und Sonnenschein mutierten wir mal wieder zu Touristen in der eigenen Stadt, mit dem Ziel, ein paar Bilder von ruhigen Ecken zu schießen. Wir wählten einen Sonntagmittag, damit es noch ruhiger wirkte. Es wirkte! Denn bei Temperaturen von deutlich unter null Grad zog es wenige Leute ins Zentrum. Und die, die es gezogen hatte, hielten es nicht lange im Freien aus.
Wir auch nicht, nach einer knappen halben Stunde stand uns der Sinn nach einer Aufwärmstube. Ganz neu am Markt – im wahrsten Sinne des Wortes – bot sich das Augustiner-Brauhaus an. Beheimatet in der vormaligen HypoVereinsbank, präsentiert sich das Lokal riesig und gemütlich und so, als wäre es schon immer dagewesen (außerdem zeigt es an seinen Wänden viele alte Leipzig-Postkarten als Großreproduktionen, auch selten gesehene*). Uns erinnerte der Augustiner an den Thüringer Hof und den Ratskeller. Sein Freisitz wird bei Plusgraden garantiert keine ruhige Ecke sein.
Die Passage „Der große Joachimsthal“ zwischen Hain- und Katharinenstraße hat beinahe immer die Ruhe weg, die Ritter- und die Burgstraße ebenso. In letzterer, dort, wo der Maat vor einiger Zeit den Zweitausendeins-Laden abgelöst hatte, macht sich gerade Zalando bereit. Wir staunten, denn wir hatten nicht erwartet, dass dieser über lange Jahre defizitäre Stiefelversand einmal zum stationären Händler werden würde.
Ruhig und leer erlebten wir am vergangenen Sonntag sogar Reichsstraße und Naschmarkt, Petersstraße und Neumarkt – Orte, an denen sonst Gewühle herrscht. Nichts gegen Gewühle, das strahlt Leipziger Lebendig- und Geschäftigkeit aus, dennoch freuen wir uns mittlerweile auch regelmäßig über Ruhe – ein sonniger Sonntag mit Minusgraden ist da genau das Richtige!
* z.B. eine von circa 1929 zur eigenen Geschichte, da war das Augustiner-Bräu am Brühl 25 in der Goldenen Eule zu Hause: „Wir sitzen heut‘ bei guter Weile, / Lieber Freund in der ‚Goldenen Eule‘. / Wohl seit Anno 1500 / Schaut der Vogel still verwundert / Auf den Fleiß und das Gewühl / Unserer Leute hier am Brühl. / Der Napoleon stellte hier / Seine Rosse ins Quartier, / Eh‘ er nach der Völkerschlacht / Sich ‚französisch‘ davongemacht. / Daneben wohnte Schönkopfs Käthchen, / Des großen Goethe Leipz’ger Mädchen. / Auch Richard Wagner, der Komponist, / Dicht daneben geboren ist. / Jetzt ißt und trinkt man aufs beste / Im Goldenen Eulenneste!“