Dietrich Boddin lässt in seiner Freizeit das alte Leipzig auferstehen, ein Gebäude nach dem anderen. Zuletzt war Geutebrücks Buchhändlerbörse (damals in der Ritterstraße beheimatet) an der Reihe. Den Prachtbau im Palmengarten hat er nachgebaut, den Opernvorgänger Neues Theater, das alte Bildermuseum, das Café Bauer, das Café Felsche usw. usf., auch Unbekannteres wie den Gohliser Kaiserpark, ein Ausflugslokal, wie es sie vor dem Ersten Weltkrieg viele gab und das sich in diesem speziellen Falle an der Mühlwiese befand. Heute sehen wir an seiner statt eine gestaltete Grünfläche mit Spielplatz (Straßenbahnhaltestelle Stallbaumstraße). Der Kaiserpark wäre vergessen, wenn es nicht alte Bücher, Bilder und Dietrich Boddins Modell von ihm gäbe! Ebenso das Hotel Sachsenhof vom Johannisplatz, aktuell beerbt von einem Ärztehaus …
Modelle bieten ein dreidimensionales Erlebnis, man kann sich gedanklich besser in sie hineinversetzen als in ein zweidimensionales Foto, das bei dem Thema ohnehin zumeist schwarzweiß wäre. Stichwort Foto: Dietrich Boddin baut so oft es geht komplette Gebäude nach, braucht dafür aber natürlich Fotos von vorn, hinten, links, rechts und oben. Bei nicht freistehenden Häussern sind die Seitenansichten hinfällig, ein Ausweg ist, nur die Front darzustellen. Deutrichs Hof, den ehemaligen Nachbarn des Riquethauses, hat der freundliche Gohliser in dieser Form nachgebildet. Circa 30 nicht mehr existente Leipziger Häuser oder bauliche Ensembles sind mittlerweile entstanden, jetzt gehen Dietrich Boddin langsam die Ideen aus.
Aber Leipzig ist nicht das alleinige Thema, es gibt zum Beispiel auch Hiddensee- und Venedig-Modelle sowie reihenweise Telefonzellen aus aller Welt. Der pensionierte Gebrauchsgrafiker setzt immer irgendetwas zusammen, für ihn ist das Bauen und Entstehensehen die wahre Freude. Ist das Bauwerk fertig, bekommt es einen Platz im Wohnzimmer und damit es nicht einstaubt, eine Plexiglashülle, und Dietrich Boddin wendet sich dem nächsten Projekt zu. Dass dabei aus Platzgründen frühere Arbeiten wieder aus der Welt verschwinden, kommt vor. Sein komprimiertes Paris, an dem er zwölf Jahre lang gearbeitet hatte, ist leider nur noch auf Fotografien von Peter Franke (Punctum) zu erleben. Dietrich Boddins Paris-Zuneigung und -Sehnsucht war einst vom Liebesfilm „Paris im Monat August“ (1966, in der Hauptrolle Charles Aznavour) geweckt worden.
Schön wäre, wenn das Stadtgeschichtliche Museum Boddins sämtliche Leipzig-Nachbauten erwerben und dauerhaft ausstellen würde. Die Bauten sind so detailgetreu und lebensecht, zum Teil mit Beleuchtung und sich bewegenden Tanzpaaren oder Rolltreppen versehen – wir jedenfalls waren hin und weg, voller Ehrfurcht. Und gerade weil sich unsere Stadt permanent, manchmal fast zu schnell verändert, dürften die Eindrücke von vor 100 oder gar 120 Jahren bei vielen Einheimischen und Zugereisten auf großes Interesse stoßen, Bewunderung auslösen und nicht selten auch Wehmut.