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Neues von Thalysia

Neues von Thalysia

Torsten, Sammler von Bierflaschen aus Steinzeug aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, meldete sich, weil er auf unserer Seite die vier Beiträge „Reformen mit Paul“ (Ende 2019 / Anfang 2020) gelesen hatte. Thema dieser Serie ist die Geschichte des Leipziger Unternehmens Thalysia („Waren zur gesunden Lebensführung“). Torsten ist im Besitz von historischen Thalysia-Flaschen und möchte mehr über deren genaues Alter und deren Inhalt herausfinden. Unser Fachmann Andreas, der Autor der kleinen Serie, bezweifelt angesichts der Reformhaus-Ausrichtung des benannten Betriebes, dass in den Flaschen jemals Bier gewesen sein könnte. Undine Meissner, Urenkelin der Thalysia-Gründer Amalie und Paul Garms, glaubt auch nicht an solche Getränke im Sortiment ihrer Vorfahren: „Ich vermute, dass sie (die Flaschen – GL) nichts mit Bier zu tun hatten, von Bier oder gar Bierbrauen habe ich nie etwas gehört. Der Aufdruck bezieht sich ja auf das Reformhaus. Wurde dort etwas abgefüllt, das einen sicheren Bügelverschluss brauchte, Most oder vergorene Milch? Ich weiß es leider nicht …“

Dafür wusste die freundliche Nachfahrin andere interessante Sachen (und stellte uns schönes Bildmaterial zur Verfügung), u.a. über ihren Großvater Hans Garms, den Sohn des Gründerpaares. 1946 ist der „mit seiner Familie, Mobiliar und Miederschnittbögen und vielleicht weiteren Produktionsmitteln in einem Güterwagon in den Westen gegangen. Ich weiß nicht, ob er und Frau und Tochter wirklich in dem Wagon waren, eher nicht, aber er hat einen Güterzugführer mit einem Schwein, vielleicht von der Täubertsmühle* bestochen, so die Familienlegende, einen Güterwagon mit seinem und vielleicht seiner Schwester Hab und Gut an einen Zug, der in den Westen führt, anzuhängen. Das war, glaube ich, Ende 1946. Die Thalysia wurde dann erst in Dortmund, später in Bad Buchau am Federsee weiterbetrieben.“

Und es geht aufregend weiter: „Wegen der Sache mit dem Bier möchte ich noch was zu Hans Garms erzählen: Während Paul Garms wohl selbst das Bedürfnis nach gesunder Ernährung hatte und davon zu seinen Aktivitäten motiviert wurde, war sein Sohn ein tatkräftiger Genussmensch, der, so die Legende, anlässlich der Geburt seiner Tochter ein Gefäß mit Sekt füllen ließ, das so groß war, dass ein Schwan darin schwimmen konnte. Ein Foto davon habe ich nicht gesehen, Wahrheit oder Legende, die Überlieferung steht jedenfalls dafür, dass Dr. Hans Garms wohl mehr nach seiner Mutter kam.

In der Familienüberlieferung ist Amalie Garms überhaupt die Person, die als die Gründerin der Thalysia betrachtet wird, und die Mieder werden als das entscheidende, ‚frauenbefreiende‘ fortschrittliche Element angesehen. Den Fokus auf Paul Garms habe ich erst durch die ‚Reformen mit Paul‘ kennen gelernt, mir galt er als der Mann, der, dank seiner Einkünfte aus dem Verlagswesen, seiner Frau das Kapital für ihre Aktivitäten zur Verfügung stellen konnte. Im Übrigen betrafen die Erzählungen meiner Großmutter (der Ehefrau von Hans Garms) und meiner Mutter (seiner Tochter) mehr das gute Leben mit und zu Lebzeiten von Hans Garms und seinen großartigen Charakter, als seine Tätigkeit als Fabrikdirektor und engagierter medizinischer Leiter. Er hatte auch nichts Esoterisches, meiner Mutter hat er beigebracht, Kochen als physikalisch-chemischen Prozess zu betrachten.“

Weiterhin erfuhren wir, dass Hans Garms‘ Schwester Friedel die Täubertsmühle* geerbt hatte und mit einem Spross der Schokoladenfabrikanten-Familie Cyliax verheiratet gewesen war. Ihr Enkel betreibt heute in München ein Sanitätshaus, was perfekt zum Anfang der Geschichte und den Garmsschen Reformhäusern in Leipzig passt.

Herzlichen Dank an Undine Meissner sowie an Torsten und Andreas!

* siehe unseren Beitrag „Reformen mit Paul, Teil 2“ (Dezember 2019)