Der dritte Teil unserer Reihe über die Kunsthandlung Beyer beschäftigt sich mit dem Märchenhaus und dessen Ende im Zweiten Weltkrieg. Zwischen 1900 und 1943 war das Leipziger Familienunternehmen nacheinander an vier Adressen zu finden, der Schulstraße 8 (heute Ratsfreischulstraße), dem Thomas- bzw. Dittrichring 22, dem Dittrichring 16 und zuletzt der Thomasiusstraße 28. Dort befand sich das von Raymund Brachmann errichtete Märchenhaus, dessen Schauseite zum Nikischplatz zeigte.
Carl Beyer berichtet in seinen im Frühjahr 1944 in die Schreibmaschine getippten Erinnerungen von der Zerstörung des Gebäudes. Seine Frau Elsa und er arbeiteten nicht nur im Märchenhaus, sie wohnten auch dort. „Als am 4.12.43 früh nach 3 Uhr die Alarmsirenen heulten, wir glaubten nicht recht an einen ernsten Angriff, machten wir uns doch fertig für den Gang in den Keller; wir waren aber noch nicht zur Tür hinaus, als in der Wohnung und im Treppenhaus bereits die Fenster hereinstürzten, sodass wir Mühe hatten, über die Scherben und die Verdunkelungseinrichtung mit 2 Rucksäcken und einem kleinen Landkoffer, alles, was wir mit uns nehmen konnten, den Keller zu erreichen, so ziemlich als die Letzten der Hausgenossen.
Schon nach kurzer Zeit wurde durch die Kontrollgänger gemeldet, dass das Haus brenne und Löschen mit der kleinen Handspritze aussichtslos sei. Der leicht vermauerte Durchbruch nach dem Nachbarkeller Nikischplatz wurde eingeschlagen und wir zwängten uns durch das enge Loch dorthin. Ein Teil der Hausbewohner war noch durch unseren winkligen Kellergang entkommen. Aber auch im Nachbarhaus fing der Dachstuhl Feuer, und so zogen die Kellerinsassen vor, das Haus zu verlassen, solange der Hauseingang noch frei war. Es mochte etwa um 5 Uhr sein; unser Haus stand schon zu einem grossen Teil in hellen Flammen; unsere Wohnung war von der Strasse aus nicht sichtbar, da nach hinten hinaus gelegen, aber auch aus dem 1. Stock schlugen bereits die Flammen heraus …
Das ganze Stadtviertel brannte bereits lichterloh, als wir die Strasse erreichten. Es müssen hier unglaubliche Mengen Stabbrandbomben gefallen sein, und wir mussten durch die brennende Thomasiusstrasse und Lessingstrasse zur Auffangstelle in der Annenschule, gelangten auch dorthin durch Funkenregen und über fallende Trümmer wie durch ein Wunder heil. In dem dortigen grossen, aber überfüllten Keller war unseres Bleibens aber nicht lang; die Schule war auch in Gefahr, und es hiess zur nächsten Stelle, der Schule in der Elsässerstraße am alten Messplatz! Von der Frankfurterstrasse an durch die König Johannstrasse war von Bränden wenig zu sehen, dagegen packte uns dort ein toller Sturm, veranlasst durch das Nachströmen der kalten Luft in die branderhitzten Innenteile der Stadt. Wir konnten uns kaum dagegen halten. Es fing an zu dämmern, aber über der Stadt lag auch der helle Feuerschein.“
Das Kunsthändlerpaar findet Unterschlupf bei einer Freundin am Rosental und wagt sich am 6. Dezember zurück zum Märchenhaus „- vollständig ausgebrannt bis in den Keller; dieser und der Hauseingang tief in Trümmern begraben; die Aussenmauern ziemlich hoch hinauf standen noch. Darunter liegen heute noch unsere 2 Eisenschränke mit wertvollstem Inhalt an Graphik, Wäsche, Silber etc., von dem kaum etwas einmal wird gerettet werden können … Am Nikischplatz waren 3 od. 4 Häuser erhalten geblieben, das Künstlerhaus … dagegen ausgebrannt.“ Beyers verließen am 9. Dezember 1943 die Stadt und zogen zu ihrer Tochter nach München. Das Märchenhaus war für immer verloren.
Herzlichen Dank an Anders Beyer!
Zur Erklärung: Elsässer Straße = Max-Planck-Straße, Frankfurter Straße = Jahnallee, König-Johann-Straße = Tschaikowskistraße