Gleich zu Jahresbeginn machten wir auf unserer Facebook-Seite eine Frage öffentlich, die Anja und Sven vom Süßen See uns gestellt hatten: Wer sind die sieben Dargestellten am Messehaus Petershof in der Petersstraße? Wir konnten diese Frage nicht beantworten und reichten sie darum weiter. Als einer der ersten reagierte unser alter Lehrlingszeitenkumpel Norbert Lotz (von dem es zahlreiche Worte und Bilder auch hier auf der Seite gibt). Er schickte den Link zu einem von ihm geschriebenen Beitrag aus dem Jahr 1993, in dem er für das Stadtmagazin Blitz vom Wiederaufstellen der sieben Statuen vom Petershof berichtete:
„Die Figuren aus Travertin sollten Handel, Staat und Recht, Architektur, Kunstgewerbe, Musik sowie Industrie versinnbildlichen. Neben der Merkurstab tragenden Figur des Bankiers Hans Kroch, Mitfinanzierer des Baus, stand das Porträt des Oberbürgermeisters Dr. Rothe als Sinnbild für Staat und Recht. Auch der Architekt Alfred Liebig wurde als Figur verewigt.“ Im Buch „Art déco in Leipzig“ von Wolfgang Hocquél und Jill Luise Muessig finden sich ebenfalls Erklärungen zu den Symbolgestalten (Lyra = Kunst, Merkurstab = Handel, Hammer = Arbeit), aber wieder nur die drei von Norbert sowie Wikipedia her bekannten Namen, dafür mit Positionen: Kroch 3. v.li., Rothe Mitte und Liebig 2. v.re..
Während wir nun Kontakt zum Stadtführer-Duo Conny Schnoy und Henner Kotte aufnahmen, kam über Facebook der entscheidende Hinweis von Robert Alexander Bttnr. Der erklärte die Sieben: „Von links nach rechts mit den entsprechend repräsentierten ‚Zünften‘ der Stadt, die sie in den Händen halten: Baudirektor Ludwig Fraustadt (Musik), Kommerzienrat Felix Geissler (Kunstgewerbe), Bankier Hans Kroch (Handel), Oberbürgermeister Karl Rothe (Schauspiel), Messedirektor Raimund Köhler (Messe), Architekt des Hauses Alfred Liebig (Architektur) und Messevorstand Edgar Hoffmann (Industrie)“. Super Sache!*
Leider konnte Robert Alexander als Quelle für dieses Wissen nur auf seine Notizzettel verweisen, aber immerhin hatte er sämtliche Namen parat! Conny und Henner bestätigten das Ganze kurz darauf. Henner hatte den Kenner Frank Rohn zu Rate gezogen, der meinte: „Deine Frage betreffend, habe ich mehrere Quellen aus den Jahren 1993-95 u.a. von Norbert Lotz (BLITZ) und Karsten Pietsch (LVZ) gefunden. Im Wesentlichen entspricht hier alles Deinen Erkenntnissen, bis auf eine Abweichung: OBM Dr. Rothe steht nicht fürs Schauspiel sondern für Staat und Recht (eine Quelle nennt das auch Staatskunst), was m.E. eher zutrifft.“
Ein weiterer Leser hatte zwischenzeitlich über Facebook eingeworfen: „Es handelt sich hier um Figuren und Symbole aus der Freimaurerei, die u.a. die Hierarchie in der Freimaurerei abbilden.“ Das veranlasste uns, bei Bastian Salier nachzufragen. Der Leipziger Verleger und Autor freimaurerischer Literatur** (Salier Verlag) antwortete schnell und ausführlich: „Mit Freimaurerei haben sie jedenfalls nichts zu tun (es wird da ja immer und überall viel hineingeheimnist). Eine ‚Hierarchie der Freimaurerei‘ gibt es in dieser Form nicht, es gibt Lehrling, Geselle und Meister (also drei Grade), darüber hinaus noch diverse Systeme mit weiterführenden Graden. Die Symbole, die die Figuren in den Händen halten, haben – so weit ich das erkennen kann – nichts mit Freimaurerei zu tun und sind mit Sicherheit (siehe Wikipedia) Gegenstände, die Berufe und/oder Künste darstellen sollen.
Ob die Abgebildeten Freimaurer waren, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Für die Loge Minerva zu den drei Palmen (und das war immerhin die größte Loge in Leipzig und ist es heute wieder) kann ich es jedoch definitiv ausschließen. In deren (vollständig erhaltenem) Matrikelverzeichnis taucht nicht einer der genannten Namen auf. (Was mich im übrigens selbst etwas erstaunt hat, denn sonst ist die ‚Trefferquote‘ bei den Stadt-Honoratioren meist recht hoch). Also: Immerhin sind die Figuren ein schöner Geheimtipp, ich werde sie auf jeden Fall demnächst genauer studieren, wenn ich in der Petersstraße bin.“
Herzlichen Dank an alle Beteiligten und zusätzlich noch einmal an Blog-Kollegin Cindy (Unterwegs im Hinterland), die uns voriges Jahr auf die Skulptur einer Familie in der Naunhofer Straße und deren Schöpfer Johannes Göldel aufmerksam gemacht hatte. „Bekannt ist der in Leipzig für seine sieben Figuren am Petershof, über dem Eingang des ehemaligen Kinos ‚Capitol'“, schrieben wir am 19. September 2021 dazu ebenfalls auf unserer Facebook-Seite. Die Figur des Architekten Alfred Liebig spielt außerdem in unserem Beitrag „Leutzscher Originalquelle“ vom Dezember 2016 eine Rolle.
* Nachtrag: Wenn man die sieben Namen einmal hat, findet man auch mehr, zum Beispiel die passende Bildbeschreibung zu einem Foto von Martin Geisler und beim Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig ein Porträt von Dr. Raimund Köhler; der war Direktor des Leipziger Meßamts und stammte aus Meißen. Außerdem lesen wir im Buch „Leipzig – Historische Straßen und Plätze heute“ (1979), dass der Petershof mit 3.589 Quadratmetern Grundfläche der größte Messepalast der Innenstadt war (Ausstellungsfläche: 40.000 Quadratmeter), zu seiner Errichtung 1922 die Petershof-AG gegründet wurde und Bauherrin die Leipziger Messe- und Ausstellungs-AG gewesen ist. Darum sind unter den sieben Figuren gleich zwei Messemänner …
** der uns bislang unbekannte Fachbegriff dafür lautet Masonica
Nachtrag am 20.03.2022: Heute haben wir an Dr. Günter Hempels Freimaurer-Stadtführung teilgenommen, die von der frei- und außenstehenden Nikolaikirchsäule im Zickzackkurs zum Goldenen Schiff führt. Wir können diese Führung nur empfehlen! Dr. Hempel erzählt von der wirksamen Toleranz und dem erstaunlichen Einfluss der Leipziger Brüder und deutet u.a. auch am Petershof Details, die wir bisher nicht einzuordnen wussten. Dabei macht der Stadtführer aus den Freimaurern keine Verschwörertruppe und darauf aufmerksam, dass man die Dinge immer aus mindestens zwei Blickwinkeln betrachten kann … www.leipzigdetails.de
Nachtrag im Juli 2023: Zwei weitere schöne Figuren sahen wir in der Gräfestraße, eine Betende und einen Sensenmann im landwirtschaftlich wörtlichen Sinne. Die Beiden erinnern in ihrer Schlankheit an die Fortuna vom Kino der Jugend in der Eisenbahnstraße. Der Vollständigkeit halber zeigen wir Euch gleich noch eine Gohliser Fortuna (Hoepnerstraße).
siehe auch unsere Beiträge „Freimaurerei in Leipzig“ (März 2022) und „Die Sieben von der Turnhalle“ (März 2023)