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Vom wohl ältesten Leipziger Stammtisch der Jetztzeit III

Vom wohl ältesten Leipziger Stammtisch der Jetztzeit, Teil 3

Teil 3: Die Zeit nach 2000 bis heute

(F.H.*) Der Euro kam – und damit nicht nur der spätere, dann bleibende Umzug in den Zunftkeller und in das nun feste monatliche Domizil in dessen „Meisterstube“, sondern auch die sich weiter fortsetzende Umwandlung der „Litertafel“ in eine Mixtur aus ganz lockeren Kneipenabenden und Außerhalb-Aktionen, mit stabilisierender Funktion zum Fortbestand des Freundeskreises. (Den Coffe-Baum mieden wir nach einem letzten Besuch 2010 gänzlich.)

Auch waren Frau und Mann in die Jahre gekommen – die runden Nuller (50, 60, 70, inzwischen auch 80), häuften und häufen sich, mit opulenten Einladungen der Jubilare zu üppigen und kostspieligen Feten in mancherlei Etablissements außerhalb des Zunftkellers, bis hin nach Dresden, Friedrichsbrunn und in die Randlagen von Leipzig, meist gar ohne Berücksichtigung der eigenen Blutsverwandtschaft! Der Stammtisch war und ist sogar bei manchen die „Familie“ – schon merkwürdig, also eben des Merkens würdig. Liegt vielleicht am Begriff Familienbande, der bzgl. „Bande“ einen Ruch von Wahrheit hat?

Dank der seit 1990 gewonnenen Reisefreiheit waren und sind dann Reiseberichte zu den USA, Israel, Karibik, Island, Großbritannien, Frankreich usw. eben auch Beiträge, neben den unvermeidlichen Mitteilungen über die lieben Enkel, Kinder und deren Gesponsen – die ja indirekt und wohlbekannt zur Stammtischfamilie zählen. Auf der Strecke blieben und bleiben jedoch oft die gemeinsamen Intonierungen einschlägigen Liedgutes wie „Kurfürst Friedrich von der Pfalz“, “Brunz von Brunzelschütz“, „Es saßen die alten Germanen“ und dgl. – man ist halt der Studikerzeit entfernt.

Die nun ältlichen Knacker der LLT-Radfahrcompagnie fahren auch nicht mehr von Hamburg nach Cuxhaven und zurück oder bei straffem Regen durch den Spreewald, sondern bedienen sich einheimischer Busunternehmen zu Fahrten etwa nach Pulsnitz, Prag, zur Festung Königstein oder fliegen in Kleinstgruppen nach Malta oder Zypern, wohin wir Sachsen schon immer mal wollten. Auch sind die Herrentagsausflüge rar geworden, desgl. die legendären Karfreitagsfeten in Naunhof auf einem Privatgrundstück – zu aufwändig für die Gastgeber.

Ausgefeilte, sehr begrüßte Beiträge aus der literarischen Klasse gibt es nur noch zu Karfreitag und Weihnachten von einem unermüdlichen Redner; als wirklich gelungen gelten die Abende, wo alle oder wenigstens einige aus sich herausgehen, Witze und Erlebnisse erzählen, Lieder selber anstimmen oder gar Runden (Beiträge aus der kulinarischen Klasse) schmeißen ohne triftigen Anlass. Auf einen neuen Trabbi muss man schon lange nicht mehr anstoßen … Sehr bewährt haben sich weiterhin Quizrunden mit Preisen und der jährlich immer heiß umkämpfte Zwangsumtausch der Inhalte sog. Schnullipakete, die ein jeder das Zuhause entrümpelnd mitbringt.

Wie schon früher erwähnt, ist der zentrale Mittelpunkt eines Stammtisches die geeignete Gaststätte. Mit dem Zunftkeller haben wir eine solche ergattert. Jörg Hellriegel samt seiner Gattin ist uns ein treues Wirtspaar, erhöht zwar inflationsbedingt schleichend seine Preise, kämpft mit Corona und Personalmangel, liefert aber immer vortreffliches Fleisch und lässt die höchst unterschiedlichen Speisenbestellungen gleichzeitig servieren. Jörg geht auch gern auf Sonderwünsche ein, etwa Frühlingstafeln, Weißwurstfeste oder Gänsebratenorgien, sogar ziemlich preiswert. Nach den vielen Irrfahrten unseres Stammtisches ist das der Stabilisationspunkt, neben dem ideellen Zusammenhalt einer „hochwerten Korona“ über all die vielen Jahre und Corona hinaus. Möge es anderen Stammtischen gleichermaßen glücken!

Eines ist hochbedauerlich: Wir haben keinen Nachwuchs! Unsere Kinder meiden die Vereinigung der alten Schachteln resp. Säcke, finden sich nur höchst selten zu Treffen ein. Geeignete vorzeigbare neue Mitglieder älterer oder jüngerer Semester kennt offenbar niemand. Da ist dann die LLT ein Auslaufmodell, memento mori. Chancen freilich für Stammtische mit besserer Nachwuchsarbeit vielleicht gar einen 60. Jahrestag oder mehr zu schaffen …

Zum Abschluss der auf Goethe zurückgehende Cantus:
„Hier sind wir versammelt zu löblichem Tun,
drum Brüderchen, ergo bibamus!
Die Gläser, sie klingen, Gespräche, sie ruhn,
beherziget: ergo bibamus!
Das heißt noch ein altes, ein tüchtiges Wort,
es passet zum ersten und passet so fort,
und schallet, ein Echo, vom festlichen Ort,
:/ ein herrliches ergo bibamus!/:“

(Ergo bibamus = Also trinken wir)
Daher §11: Es wird fortgesoffen, und wenn es auch nur Schorle ist.

* F.H. = Dr. Frank Hille, von ihm stammt der Stammtisch-Text. Herzlichen Dank!