Thomas aus Freital hat uns geschrieben: „Obwohl ich bereits seit fast 47 Jahren nicht mehr in Leipzig lebe, bin ich bis heute insbesondere vom Aufwachsen in meiner alten Heimatstadt geprägt, in Anger-Crottendorf bis 1973, Wohnung: Friedrich-Dittes-Straße 12. In der RiWa-Schule war Peter Degner einer meiner Klassenkameraden. Mein Lebensmittelpunkt lag zwischen Stünzer Park*, Sportplatz Motor Ost und Johannisplatz (Wohnort der Großeltern) sowie Riebeckbrauerei**, Oswaldstraße (Wohnort der anderen Großeltern) und altem Messegelände.
Als Kind bin ich fast täglich durch die Grüne Gasse gelaufen. Bis etwa Mitte der 60er Jahre war dort unmittelbar vor dem Parkzugang eine Schmiedewerkstatt in Form einer Betterbude. Diese war im Bereich einer Längsseite zumindest teilweise offen. In meiner Erinnerung war der Schmied ein großer, hagerer, alter und geheimnisvoller Mann. Vielleicht habt Ihr Interesse und die Möglichkeit zu ermitteln, in welcher Zeit diese Schmiede, in der auch Pferde beschlagen wurden, betrieben wurde. Diese Gesamtsituation wirkte in einer Großstadt, selbst in diesem Bereich, eher unwirklich und prägte in der Kindheit im gewissen Maße mein Heimatgefühl.“
Auch wir kennen die Grüne Gasse*** aus unserer Kindheit, allerdings nicht die Schmiede (nur die gleichnamige Gaststätte an der Ecke von Breiter und Crottendorfer Straße). Weiß jemand von Euch mehr darüber? Existieren vielleicht noch alte Bilder von Schmied und Schmiede? Angeregt durch Thomas‘ Zuschrift waren wir gleich mal in der Gegend, haben geguckt, fotografiert und uns u.a. darüber gewundert, dass bei Polygraph**** noch immer nichts passiert ist. Und an der Kaufhalle erfuhren wir durch ein Graffiti, dass der hiesige Straßennamensgeber Gregor Fuchs zu Beginn des 18. Jahrhunderts Baumeister des Romanushauses gewesen ist. Herzlichen Dank an Thomas!
* siehe unseren Beitrag „Der Stünzer Park“ (Juni 2012)
** siehe unseren Beitrag „Sternburg statt Reudnitzer“ (Juli 2012)
*** es gibt mindestens eine zweite Grüne Gasse in Leipzig, zwischen Lortzingstraße und Rosentalgasse
**** siehe unsere Beiträge „Auf dem Bahndamm“ (April 2016), „Das alte Anger-Crottendorf II“ (Februar 2017) und „Bei Krause im Wald“ (Mai 2017)
Nachtrag am Erscheinungstag: Julius hat’s raus! Kurt Frommelt hieß der Schmiedemeister in der Grünen Gasse (steht im Leipziger Adressbuch von 1949). Besten Dank!
Nachtrag im Mai 2020: Paul hat sich gemeldet mit konkreten Neuigkeiten! „Die Schmiede existierte schon 1947/48, war aber in einem kleineren ‚Gebäude‘ auf dem gleichen Gelände, wo später auch Garagen standen. Links von dem Grundstück befand sich eine Villa, in der später ein Kindergarten war. Der Schmied selbst war der beschriebene ‚Typ‘, konnte laut und poltrig sein, aber mit einem ‚weichen Kern‘. Für zwei Zigarren oder eine Flasche Bier hat er kleinere Schweißarbeiten getätigt, in der Nachkriegszeit den Kochtopf unentgeltlich repariert usw.. Übrigens hieß er bei uns Der Urwaldschmied! Neben der Schmiede befand sich damals ein Tabakwaren-Kiosk und am späteren Parkdurchgang zur Breiten Straße eine weitere Holzbude, Obst und Gemüse Martha Bunge – die Bunge-Mutter!“ Super! Vielen Dank, Paul! Wir haben schnell zwei Fotos geschossen.
Wenige Tage später konkretisiert Paul: „Die Urwaldschmiede war nach meiner Schätzung hinter dieser Mauer, die es früher nicht gab, bei Google Earth habe ich einen Verteilerschrank (evtl. Straßenbeleuchtung) entdeckt, dort war, etwa 3-5 Meter daneben, besagter Tabak-Kiosk. Gegenüber war ein Lumpenmann: Max Wolf, Altpapier-Textilabfälle, später VEB SERO (Sekundärrohstoffe), ein etwas größeres Hof.“ Super! Danke, Paul!
Nachtrag im August 2020: „Ich kenne die Schmiede noch aus Kindheitstagen“, schreibt Tom, „den Schmied nicht, und verbinde damit eher furchtbare Erinnerungen; der Schmied hatte in dem kleinen Hof zur Gasse zu eine Katze laufen – im Geschirr mit einem kleinen Wagen dran. Viele Erwachsene blieben dort stehen und schüttelten zumindest den Kopf, manche schimpften auch lauthals. Ich war damals so circa zehn, elf Jahre alt … Diese Grausamkeit geht mir bis heute nicht aus dem Kopf, auch als Kids fanden wir das nicht lustig. Die Lage der Schmiede (ich fuhr kürzlich vorbei) dürfte sich etwas rechts des Mäuerchens befunden haben.“ Danke, Tom!
Nachtrag im April 2021: „Liebe Geheimtippler“, eröffnet Peter aus Schleußig seine Mail an uns. „Durch einen Freund erfuhr ich von eurer trefflichen Seite. Habe sie hintereinander an mehreren Tagen wahrlich aufgesaugt, da Leipzig-Fan – bin 1943 im Bunker bei einem Bombenangriff in der Frauenklinik geboren, Spitzname ‚Bunkerjunge‘.“ Peter weiß eine Menge über die einstige Belegung der Grünen Gasse, von der Bernhardstraße angefangen: „Links unten war eine Eisdiele. 10 Pfennig eine Kugel. Rechte Seite: Hinter den jetzt abgerissenen Wohnhäusern stand ein Ersatzpostamt (Baracke), da die Lilienstraßen-Post durch Bombentreffer nicht genutzt werden konnte, Stempel für Briefmarkensammler sehr interessant. Danach folgte kurzzeitig ein Stellplatz für fahrende Bürger mit einem kleinen Pferd und einem blauen Wägelchen, damals Zigeuner genannt. Mit dem Jungen der Familie ging ich in Ramdohrs Park rodeln, da er natürlich keinen Schlitten hatte. Zigarrenbude: Mit Dachpappe beschlagenes Büdchen, von außen geteert. Betreiberin sehr alte weißhaarige, kleine Dame. Gemüsehandel Bunge: Frau Bunge wohnte in der Adlershelmstraße 6, Parterre mitte. Ich habe sie als Trümmerfrau an der Johanniskirche gesehen. Ihre Besonderheit beim Herausgeben des Wechselgeldes war, dass sie immer von ‚Märkchen‘ sprach. Ich glaube, dass sie mit der ‚Obstquetsche‘ am Stadtrand von Leipzigs Osten verwandt war. Für mich als Knirps eine eindrucksvolle Dame. Ja, sie hatte Würde. Der Schmied war genauso, wie er in euren Nachrichten beschrieben wird, Dachpappenbude mit Schmiedefeuer, der Oper ‚Waffenschmied‘ entsprungen. Die Villa war auch mal die Werkstatt der PGH ‚Leipziger Turn- und Sportgeräte‘. Diese PGH fertigte auch Taschen und Beutel für den Zivilschutz und die NVA (?). Ich fertigte die Schnittmusterbögen in Heimarbeit an (ca. 1958/59). Oben links am Ende der Gasse: Kleine Holzbude: Reparaturwerkstatt für Gummi- und Igelitprodukte.“ Wunderbar detailliert! Danke, Peter!
Nachtrag im November 2021: Noch einmal von Peter aus Schleußig: „Der Schmied hatte einen etwas ’schlurfenden‘ Gang. Seine Fersen waren nach einem Sturz nicht mehr völlig in Takt und das trotz Behandlung. In der Kastanienzeit wollte er Kindern etwas Gutes tun und kletterte auf einen Kastanienbaum in mittelbarer Nähe seiner Schmiede. Mit einem Stock oder Ast schlug er Kastanien los und stürzte dabei in die Tiefe. Folge: Bruch seiner beiden Fersen’beine‘. Deshalb musste er Spezialschuhe tragen, die seinen schlurfenden Gang bewirkten.“ Danke, Peter!!!