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Essig aus Stahmeln

Essig aus Stahmeln

(A.H.) Stahmelner Kakteen-Essig? Den gab es vermutlich nicht, auch wenn unser Foto dies suggeriert. Ein beschriftetes Keramikgefäß, dekoriert mit den stachligen Gesellen, entdeckt in der Gärtnerei Felgenträger*, machte uns aber neugierig. Weber – Essigfabrik – Stahmeln? Aber ja, in Stahmeln wurde lange Zeit Essig und Senf produziert. Robert Weber gründete schon 1878 ein Etablissement zur Essigaufbereitung, welches später an seinen Sohn Hermann Weber überging. Am 1. September 1897 wurde das Unternehmen an Ernst Schwabe verkauft, dieser hatte zuvor in einer angesehenen Leipziger Firma gleicher Branche einschlägige Erfahrungen sammeln können und sorgte schließlich mit Eifer und Professionalität für eine Entfaltung der Stahmelner Manufaktur.

Allerdings löste im Sommer 1904 ein größerer Feuerschaden einen Rückschlag aus. Ein unverzüglicher Neuaufbau war die positive Folge, ausgerüstet mit zeitgemäßer Einrichtung. Außerdem wurde eine Senffabrikation angegliedert. Möglicherweise handelt es sich hierbei um das heute noch existierende dreigeschossige Klinkergebäude, zu sehen links im Hintergrund auf einer historischen Abbildung von 1925. Das kleine Vordergebäude gibt es auch noch, es verfügt aber eigentlich nur über ein Vollgeschoss. Vielleicht hat man damals eine Etage dazu gemogelt, um das Unternehmen größer erscheinen zu lassen. Wir wissen es nicht. Solche möglichen Manipulationen sind aber von alten Geschäftsbriefen bekannt und nichts Neues.

Der Firmenname Robert Weber Essig- und Senffabrik wurde von Inhaber Schwabe beibehalten und hatte bis zur Verstaatlichung nach 1970 Bestand. Die Adresse in Stahmeln lautete Hallesche Straße 31e, heute sind die Gebäude unter der Nummer 11 und 11a zu finden. Eine Besonderheit des Betriebs war übrigens die Herstellung von reinen, hochkonzentrierten Gärungsessigen und feinen Weinessigsorten. Besonders in und um Leipzig waren die Produkte sehr geschätzt, so dass man sich gegen die Konkurrenz behaupten und zu einem führenden Unternehmen der Branche in Mitteldeutschland entwickeln konnte.

Die Fabrik wurde wie oben schon erwähnt nach 1970 verstaatlicht und trug 1974 die Bezeichnung VEB Essig- und Senffabrik Stahmeln. Die Eigenständigkeit währte aber nicht lange, noch vor 1978 waren die sozialistischen Senfwerker nur noch Werk IV des VEB Stadtkellerei Leipzig**. Leider wissen wir weder wann der letzte Essigsud angesetzt wurde, noch wann ein finaler Abstich der Würzpaste erfolgte. So bleibt das Ende der Produktion vorerst im Dunklen, der Betrieb findet in den 1980er Jahren in den Branchenfernsprechbüchern des damaligen Bezirks Leipzig keine Erwähnung mehr.

Literatur: 1894-1926 div. Adressbücher (Kreishauptmannschaft Leipzig, Stadt Leipzig), 1925 Jubiläumsfirmen des Handelskammer-Bezirks Leipzig, S. 125, 1946 Leipziger Industrie, 1950-1988 div. Branchenfernsprechbücher Bezirk Leipzig

* siehe auch unseren Beitrag „Wie bei Felgenträger“ (Juli 2014)
** ähnlich wie ihre Mölkauer Kollegen („Mölkauer Senf“, August 2016). Vielen Dank an Julius und Andreas!