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Freisitz oder Biergarten?

Freisitz oder Biergarten?

Heißt es nun Freisitz oder Biergarten? In Leipzig eher Freisitz. Das ist ein typisches Wort der Leipziger Stadtsprache und wird zu unserem Erstaunen auch auf amtlichen Formularen verwendet! In der Einleitung unseres Beitrags „Bierdeckelzeit“ vom Mai 2013 schrieben wir: „Es ist wieder Biergartenzeit und damit Bierdeckelzeit. Obwohl, in Leipzig sagt man Freisitz zum Biergarten. In den 1980ern gab es zwei große Freisitze in der Innenstadt, einen dort, wo sich heute der Petersbogen mit dem CineStar erstreckt, und einen links vom Riquet-Haus. Auch rechts vom Thüringer Hof konnte man im Freien sein Bier trinken, die Fläche ist lange wieder bebaut. Und vorm Restaurant Stadt Kiew in der Petersstraße (fast am Markt) saßen Messegäste und andere, die für ein Glas Bier 5 Mark zahlen konnten und wollten.“

Und nun lasen wir auf der Internetseite der Gesellschaft für deutsche Sprache e.V. folgende Frage: „Bei einem Spaziergang durch Leipzig gingen die Meinungen darüber auseinander, was ein Freisitz ist. Dieser befindet sich oft im Umfeld von Gaststätten, es kann sich deshalb wohl kaum um einen Hochsitz handeln?“ Die Gesellschaft antwortet: „In der Tat vermutet man in anderen Regionen des deutschen Sprachraumes oder ohne diesen städtischen Kontext oft, dass es sich bei diesem Wort um den Platz handelt, von dem aus der Förster oder Jäger den Wald und die Tiere beobachtet. … Kommen die Gäste aus Süddeutschland, liegt bei ihnen unter Umständen die Vermutung nahe, dass man auf dem Freisitz frei vom Verzehrzwang der Gaststätte etwas Mitgebrachtes essen kann …

Dem ist in Leipzig aber nicht so; die hier anstehende Bedeutung leitet sich aus dem allgemeinen Wortverständnis ab. Geläufige Wörterbücher (Duden – Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 2000) verzeichnen für Freisitz: ‚der: 1. (im Mittelalter) von Lehnspflichten u. Abgaben freies Bauerngut und 2. kleinere Terrasse an einem Wohnhaus‘. Der Freisitz ist mithin im gesamten deutschsprachigen Raum eine räumliche oder bauliche Vorrichtung für einen zeitweisen, meist aber längerfristigen (in der Regel sitzenden) Aufenthalt an der frischen Luft. Zu den Freisitzen zählen Balkone, Söller, Loggien oder Hausanbauten, Hausvorbaue, Terrassen …

Im sächsischen Sprachraum und gehäuft in Leipzig und Umgebung wird – so im offiziellen Touristenführer – darunter alles an Gaststättenfläche, was nicht überdacht, also unter freiem Himmel ist, verstanden: Biergärten, Straßencafés, Tische und Stühle auf Straßen und Plätzen, im Grünen oder anderswo … Das Wort Freisitz ist aufgrund seiner Struktur kein Dialektwort, darf aber wegen seiner dortigen starken Verbreitung zu den typischen Wörtern der Leipziger Stadtsprache gezählt werden.“

gfds.de/freisitz

So sieht das also aus! In Leipzig kann man demzufolge auch ganz offiziell einen „Antrag auf Sondernutzungserlaubnis, Freisitze für Gaststätten“ an das Ordnungsamt der Stadt stellen, d.h. Freisitz ist hier sogar ein Wort der Behördensprache! Zwei von sieben Hinweisen auf dem Formular wollen wir an Euch weitergeben: „Die Sondernutzungserlaubnis setzt einen angezeigten Gaststättenbetrieb für das Territorium der Stadt Leipzig voraus“ und „Für Bestandsfreisitze (Größe wie im Vorjahr) entfällt die Übermittlung einer maßstabsgerechten Zeichnung“.

Für Freisitz und/oder Biergarten gibt es mindestens eine dritte sprachliche Variante, den Gastgarten (auch Schanigarten genannt, was noch besser klingt) aus Österreich! +++ Und warum liest oder hört man in Leipzig doch ab und zu von einem Biergarten? Weil nicht alle Gastronomen von hier stammen – ebenso nicht alle Gäste. Zieht, wenn Ihr keine Leipziger seid, eine gedankliche Verbindung zum Freibad, der Freilichtbühne oder der Freikörperkultur – und eher keine zum Freibier, denn bezahlt werden muss auch auf einem Freisitz.