Teil 2 eines Beitrags über Karl Heine, welches 1864 in dem in Leipzig verlegten Weltblatt „Die Gartenlaube“ erschien. Schon damals schrieb und sprach man von der Seestadt Leipzig (heute: Wasserstadt), wollte die Westvorstadt Heine-Stadt nennen und erinnerte sich an Plagwitz als ein kleines Dorf mit 14 bis 16 Häusern …
Originaltext: Im neuen Canal und in der Pleiße liegen die Fahrzeuge bereit. Ein neues Dampfschiff von 15-18 Pferdekraft, für hundert Personen, nach Art der Alsterdampfschiffe von Schlick in Dresden erbaut, macht heute seine erste Fahrt. Zwei ältere Dampfschlepper stehen bereit, mächtige Boote, von 120 Fuß Länge, 16 Fuß Breite, mit Kajüten versehen und festlich geschmückt, in’s Tau zu nehmen; diese drei Fahrzeuge und viele kleinere Boote und Barken nehmen die fünfhundert besonders geladenen Gäste des Festgebers auf. Ein Boot mit Musik begleitet sie, ein zweites dergleichen führt einen zweiten Zug von Booten, in welchem die fünfhundert Arbeiter Heine’s Platz finden. Die Musik ertönt, Böller krachen, ein Hoch erschallt, beantwortet von Tausenden an den Ufern und an den Fenstern der Gebäude, ein Blumenregen fällt auf Heine’s Festgondel, und die Fahrt beginnt.
Wenn Männer einer Stadt in erhöhter Stimmung vor den Werken eines Mannes stehen, der Bürger ist, wie sie, so reißt das Herz sie über die Rücksichten des Alltags fort, und sie fühlen es in solchen Augenblicken ihrer eigenen Ehre schuldig, der Wahrheit allein die Ehre zu geben. Darum lauschen wir in stiller Freude, wie hier, weß das Herz voll ist, der Mund übergeht.
(…)
„Wenn wir ihn recht bewundern sollen, müssen wir von ihm Zahlen sprechen lassen. Heine’s wasserbahnbrechende Thätigkeit hat, wie Sie wissen, ein doppeltes Ziel. Wollte er die weiten Sumpfstrecken zunächst zwischen Leipzig und dem Dorfe Plagwitz (unweit Lindenau, eine Stunde von Leipzig entfernt) zu bauwürdigem Land umgestalten, so bedurfte er trocknes gutes Erdreich zum Ausfüllen derselben, und dieses gab ihm am besten das hochgelegene Terrain von Plagwitz. Und wollte er von dort das Ausfüllmaterial möglichst billig nach Leipzig schaffen, so bedurfte er einer Wasserstraße. Deshalb ließ er die Elster ausbaggern und für Boote bis zu 3000 Centner Tragfähigkeit befahrbar machen, und ebendeshalb verband er Plagwitz durch einen Canal mit der Elster. Der Canal giebt nun das Erdreich, das in Leipzig neues Bauland aus den Sümpfen erhebt, und jemehr Füllmaterial für Leipzig nöthig ist, desto weiter kann der Canalbau fortschreiten. Hätte Heine weiter nichts zu überwinden, als die Schwierigkeiten der Natur, so würden wir sein Werk schon bedeutend weiter gediehen sehen; – um so höher haben wir das zu ehren, ja anzustaunen, was trotz alledem bereits durch ihn geschehen ist. Nicht weniger als 1,100,000 Quadratellen Land umfaßt der neue Stadtteil, den Heine gegründet hat, und bildet nach dem Durchschnittspreis von 1 1/2 Thlr. für die Quadratelle Bauplatz einen Grundwert von 1,300,000 Thlr. Von diesem Areal waren ehedem 600,000 Quadratellen der Hochfluth ausgesetzte Wiesen und 200,000 Quadratellen sumpfige Gärten, von Gräben durchschnitten, welche Fieberluft über die Stadt hin verbreiteten; – jene Wiesen, früher um 44,000 Thlr. feil, haben jetzt einen Werth von 700,000 Thlr. Dafür hatte allerdings Heine nur für die Herstellung des Baugrundes der West=*, Rudolfs=, Wiesen=, Plagwitzer= und Elsterstraße nahe an eine halbe Million Kubikellen Füllmaterial herbeizuschaffen! Die Waldstraße nahm dessen sogar über eine ganze Million in Anspruch.“
„So also entstand die neue ‚alte Seestadt Leipzig‘! Um sich von Wasser zu befreien, mußte sie die Schifffahrt einführen!“
„Es ist wirklich so. Um einen Hafen zu bekommen, baute Heine eine Stadt, die ganze westliche Vorstadt, die man Heine-Stadt nennen sollte. Jene Prachtstraßen mit bereits über zweihundert Häusern sind Ehrensäulen, die ihm kein Feind entreißt. Da steht die Menschenmenge auf Heine’s Meisterstück, seiner Weststraße*. Hört nur das ‚Hoch!‘ von der Brücke, und welche That war sie selbst, die das ganze südwestliche Leipzig näher an Frankfurt gebracht hat!“
(…)
Wie lieblich ist dieses Wäldchen, zwischen dem der Fluß mit heimlicher tiefer Verschwiegenheit seine festliche Last dahinträgt. Sie nennen’s das Ritterspürchen und die tiefste Stelle des Flusses das Ritterloch.
(…)
Vorbei sind wir am Ritterloch. Bald sehen wir links drüben die stattliche Brücke, welche die Grenze zwischen dem Leipziger und Plagwitzer Gebiet bildet, dann noch eine kurze Fahrt und wir verlassen den Fluß, der, nun getheilt, als Luppe und Elster sich der Saale zuwendet, während wir durch ein Schleußenthor in den breiten Plagwitzer Canal einbiegen.
Welch ein Leben! Hier erst ist die ganze Menge der Boote, Barken, Gondeln, Kähne, Grönländer zu überblicken, hier zeigen die hohen ansteigenden Ufer bis zur „Königsbrücke“ am dermaligen Ende des Canals die herbeigeströmte Menschenmasse, hier ist auch das Ziel des Festzugs, der nun die Fahrzeuge aller Art verläßt, um sich in des Festgebers Besitzung, seine stattliche Wohnung mit dem geräumigen und geschmackvollen Park zu begeben, wo Leib und Seele erquickt werden sollen mit Speisen und Freuden.
(…)
Die Unternehmungen in Plagwitz begann Heine in den Jahren 1854 und 1855, und in wenigen Jahren erwarb er sämmtliche Bauergüter des Dorfes mit allen dazu gehörigen Feldern und Wiesen. Er war dadurch in der Lage ohne irgend ein Hinderniß die schönsten und breitesten Straßen anzulegen, die mit Obstbäumen, Linden und Ahorn zu beiden Seiten bepflanzt sind und namentlich an ihren Anfangs= und Endpunkten einen malerisch imposanten Anblick gewähren.
(…)
Die Entwickelung des Dorfes geschah in fast amerikanischem Maßstab. Als Heine 1854 den ersten Kauf dort that, mochte ganz Plagwitz 14 bis 16 Häuser zählen …
(gekürzt; Schluss)
* 1845-1945 Name der südlichen Friedrich-Ebert-Straße, z.T. in anderem Verlauf (siehe www.leipzig-lexikon.de)