Ljodahått steht im Norwegischen zum einen für ein altes Versmaß und bedeutet zum anderen „Gesang der Trolle“. Beides passt zu der Band um Magne Håvard Brekke, die am 1. November im Neuen Schauspiel auftreten wird. Dort in der Lützner Straße 29 wollen Ljodahått alte und neue norwegische Gedichte auf Folk-, Jazz- und Rock-Melodien zu Gehör bringen. Schön, märchenhaft und sogar ungehobelt soll es werden. Im Gespräch erläutert Magne Håvard Brekke, ein Norweger, der in der Hauptstadt der DDR Schauspiel studierte und zuvor in Leipzig deutsch lernte, die Hintergründe.
Über norwegische Literatur haben wir dank der gerade zu Ende gegangenen Frankfurter Buchmesse einiges erfahren, u.a. dass sie staatlich gefördert wird, ebenso vom Publikum aber auch gut angenommen. Ihr vertont norwegische Literatur. Was ist das Besondere und Einzigartige an ihr?
Die Literatur hat eine sehr starke Tradition in Norwegen. Das Schreiben braucht nicht unbedingt viel Geld und kann ja auch in entlegenen und isolierten Landschaften ausgeübt werden und aus unterschiedlichen sozialen Schichten kommen. In Norwegen gibt es zwei unterschiedliche Schriftsprachen, Bokmål und Nynorsk, gesprochen wird aber keine davon, sondern eine reiche Palette an unterschiedlichsten Dialekten, die sich wiederum in der Schriftsprache und gerade in Gedichten wiederfinden können. Sprache ist in Norwegen nichts Absolutes. Ljodahått hat Dichter aus ganz Norwegen im Repertoire – manche waren Waldarbeiter, Apfelbauern, Lehrer oder Schienenverleger bei der Eisenbahn. Und ein paar haben auch geschafft, davon zu leben – aber meistens sehr schlecht. Das Besondere ist vielleicht, dass diese Schreiber und Schreiberinnen Außenseiter waren und sind, mit viel Mut und Eigensinn. Sie haben es gewagt, kompromisslos sowohl das innere Leben als auch ihre Beobachtungen scharf niederzuschreiben. Sie waren oft isoliert voneinander. Und wenn sie sich auch ab und zu begegnet sind, haben sie sich nicht unbedingt aufgesucht. All diese Eigenbrötler kommen nun bei uns zusammen. Darüber hinaus gibt es wohl keinen norwegischen Schriftsteller, bei dem sich die extremen Naturbedingungen nicht niederschlagen. An der Natur kommt man in Norwegen nicht vorbei, kein ökonomischer Reichtum kann das wegpusten. Zum Glück.
Seid Ihr im gewissen Sinne als Botschafter der norwegischen Literatur unterwegs?
Unbedingt ja. Mit unserer Musik wollen wir den Fokus auch auf den großen klanglichen Reichtum der norwegischen Sprache richten. Gerade für deutsche Ohren klingt das Norwegische archaisch, fast magisch und seltsam vertraut.
Könntest Du ein aktuelles Buch aus Norwegen empfehlen, das möglichst in deutscher Übersetzung vorliegt?
„Das Grabenereignismysterium“ von Thure Erik Lund ist ein sehr starker Roman und gerade jetzt auf deutsch erschienen. Ich hoffe, dass in Zukunft noch mehr von Lund übersetzt wird fürs deutsche Publikum.
Du hast in Ost-Berlin Schauspiel studiert. Wie kam es dazu? Warum gerade dort und nicht in Leipzig?
Die Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin war die Schule, die mir angeboten wurde. Das ist eine lange Geschichte – aber so war ich in Berlin und habe dann 1989 an der Volksbühne Berlin angefangen und schon 1990 zum ersten Mal mit Castorf arbeiten können und 1992 mit Marthaler … Ich kam 1985 in die DDR und dann ging es gleich zu Euch nach Leipzig, um deutsch zu lernen, ich konnte kein Wort vorher. Ein Jahr habe ich am Herder-Institut in der Lumumbastraße in Gohlis gewohnt, deutsch gelernt und auch die Leipziger ein wenig kennengelernt. Ich freue mich sehr, nun mit Ljodahått diese Stadt und ihre Leute wiederzutreffen.
Auf Euren Pressefotos seht Ihr aus wie ein Pan-Tau-Fanclub – wegen der Hüte. Was sagst Du dazu?
Die Hüte waren ursprünglich eine Idee unseres französischen Grafikers und Zeichners Jérôme Meyer-Bisch, der die Projektionen, die während des Konzerts gezeigt werden, gestaltet hat. Die Melone schafft eine unverwechselbare Silhouette. Außerdem stellt sie eine Gleichheit zwischen den Künstlern her – das Ganze ist wichtiger als der Einzelne. Vorbilder gibt es natürlich einige, von John Steed (mit Schirm, Charme und Melone) über die Vaudeville Clowns bis hin zur diabolischen Variante in „Clockwork Orange“. Und Pan Tau: Ja, vielleicht schaffen wir es ja, die Leipziger mit einem magischen Abend zu verzaubern!
Ljodahått im Konzert: 1. November im Neuen Schauspiel, Lützner Straße 29
Das obige Interview erschien am 30. Oktober 2019 in der Leipziger Volkszeitung. Wir hatten im Nachhinein weitere Fragen an Magne.
Hast Du direkt in der Lumumbastraße gewohnt? Gab es da auch ein Internat oder Wohnheim? Hast Du noch Fotos aus Deiner Zeit in Leipzig?
Ja, direkt in der Lumumbastraße im Wohnheim. Und das Herder-Institut war gleich gegenüber auf der anderen Straßenseite. Fotos aus dieser Zeit habe ich leider nicht – verdammt.
Wo seid Ihr damals abends hingegangen? In welche Kneipen, Clubs, Diskos?
Abends ausgehen war schwierig. Manchmal habe ich eine Fete gefunden und einfach geklingelt. Ging meisten gut – nur einmal wurde ich rausgeschmissen. Und erst im Frühling habe ich einen Club* entdeckt bei der Thomaskirche. Da habe ich jemanden klingeln sehen, und als diese Person dann reingegangen ist, bin ich hingegangen und habe auch geklingelt und wurde hineingelassen. War ganz gut dort, aber viel zu spät entdeckt. Sonst einige Kneipen und Gaststätten, aber darüber können wir morgen reden …
* das dürfte der Club 21 gewesen sein