Der sächsische Dichter Johann Gottfried Seume (1763-1810), an den die Seumestraße und eine Tafel an der Nordseite des Leipziger Markts erinnern, spazierte von Grimma nach Syrakus und zurück und war dafür von Dezember 1801 bis August 1802 unterwegs (www.seume.de). Die nordamerikanische Journalistin Jane Jacobs (1916 – 2006) wiederum initiierte die nach ihr benannten Stadtspaziergänge Jane’s Walks. Von 6. bis 8. Mai finden diese erneut auch in Leipzig statt. Wir sprachen darüber mit dem Spaziergangsforscher Bertram Weisshaar (www.atelier-latent.de).
Seit wann gibt es das Spaziergeh-Festival Jane’s Walk in Leipzig?
In Toronto wurde 2006 das Festival gegründet von ehemaligen Kolleginnen und Freunden der Schriftstellerin und Aktivistin Jane Jacobs, um hierüber ihre Arbeiten und Ideen zu würdigen. Im ersten Jahr gab es zunächst eine Handvoll von Spaziergängen. Rasch verbreitete sich dieser Impuls rings um den Globus. 2017 waren es ungefähr 1.700 Jane’s Walks in 225 Städten, verteilt über 37 Länder und sechs Kontinente. In jenem Jahr gab es dann auch in Leipzig erstmals solche Nachbarschaftsspaziergänge.
Wie genau läuft das Festival ab, muss man sich anmelden, etwas bezahlen?
Jedes Jahr immer zu Anfang Mai wird das Festival recht informell veranstaltet. Es gibt nur sehr wenige Regeln für die Gestaltung dieser Nachbarschaftsspaziergänge. Bedingung ist, dass es eben Spaziergänge sind und dass diese kostenlos angeboten werden. Im Prinzip können alle Themen dafür ausgewählt werden, soweit sich diese eben praktikabel und sinnvoll auf einem Spaziergang besprechen lassen. Eine weitere Bedingung ist natürlich das freundliche Miteinander und das Interesse an einem offenen Austausch auf der Basis der gegenseitigen Wertschätzung.
Wo spazierst Du am 6., 7. und 8. Mai herum?
Das Programm zu Jane’s Walk in Leipzig wird veröffentlicht auf der Internetseite www.leipzig-zu-fuss.de. Es werden dieses Jahr wieder circa ein Dutzend Spaziergänge angeboten, zu unterschiedlichen Themen und Stadtbereichen.
Was ist das Besondere am Spazierengehen?
Das Gehen ist die uns angeborene Fortbewegung. Und im Gehen kann man sich eben auch sehr gut mit anderen Menschen unterhalten und austauschen – zum Beispiel darüber, was man entlang des Weges beobachtet. Hinzu kommt: Immer wenn wir uns mit Architektur, mit Straßen, Stadtgebieten oder Parks beschäftigen, geht es dabei auch um dreidimensionalen Raum. Erst in der Bewegung durch diesen Raum verstehen wir diesen wirklich, das ist quasi die vierte Dimension. Nur mit dem „schriftgelehrten Wissen“ alleine können wir Stadt, Landschaft oder Architektur nicht erfassen oder verstehen. Und am besten funktioniert das eben zu Fuß. Das Gehen führt uns am dichtesten an die Welt heran.
Wann und wie hat es Dich in unsere Stadt verschlagen?
Ich lebe nun seit zwanzig Jahren in Leipzig. Wegen der Kohle hat es mich hier her verschlagen – also wegen der Braunkohle. An Leipzig gefällt mir, dass man hier insgesamt gesehen seine Alltagswege gut zu Fuß erledigen kann. Viele Stadtgebiete von Leipzig entstanden ja ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – also in Zeiten, wo das Gehen die ganz selbstverständliche Art der Fortbewegung war. Seit mehreren Jahren engagiere ich mich in der Leipziger Ortsgruppe von FUSS e.V., dem Fachverband für Fußverkehr. Diese Lobby der Fußgänger/innen kämpft für die Instandsetzung der Gehwege, sichere Querungen und für ein respektvolles Miteinander auf den Straßen – das bedeutet beispielsweise auch, das konsequente Freihalten der Fußwege von Gehwegparkern. Das vermeintlich so beiläufige Spazieren wird hie und da also auch politisch.
Jane’s Walk in Leipzig: 6.-8. Mai 2022