(J.R.) Die Geschichte des Reclam Verlags ist eng mit der Familiengeschichte verwoben, die Reclams waren im Laufe der Zeiten Juwelenhändler, Goldschmiede, Kaufleute, Buchhändler, Prediger, Gelehrte oder Soldaten. Die Tradition im Buchhandel begründete Carl Heinrich Reclam (eigentlich Charles Henri, 1776–1844), dessen Vater noch Juwelier Friedrichs des Großen gewesen ist. Carl Heinrich Reclam zog nach Leipzig und eröffnete dort eine Buchhandlung für französische Literatur.
Nach einer Lehre zum Buchhändler und- drucker in Braunschweig folgte Carl Heinrichs Sohn Anton Philipp (getauft Antoine Philippe, 1807-1896) seinem Vater nach. Er borgte sich 3.000 Taler und kaufte eine Leihbibliothek, das Literarische Museum, in der Grimmaischen Straße in Leipzigs Innenstadt. Am 1. Oktober 1828 gründete Anton Philipp Reclam den Verlag des literarischen Museums in seiner Heimatstadt. 1837 verkaufte er das Literarische Museum und benannte den Verlag in Philipp Reclam jun. um. Das Stammhaus wurde unter dem Namen Reclam Leipzig bis zum 31. März 2006 in Leipzig fortgeführt. Danach wechselte der Sitz inklusive Geschäftsleitung nach Ditzingen bei Stuttgart.
Doch wusstet Ihr, dass die Figur des Anton Philip Reclam auch in einem DEFA-Film eine Rolle spielte? Karl Weber mimte ihn in einer Episode im Streifen „Ein Polterabend“ aus dem Jahr 1955. Die Posse um den Satiriker Adolf Glaßbrenner (1810-1876) spielt im Berlin des Jahres 1849. Der demokratische Publizist, genannt Brennglas, steht im Begriff, die Schauspielerin Adele Peroni zu heiraten. Doch die gerät zwischen die Fronten ihres fortschrittlichen Bräutigams und der preußischen Reaktion. Und der Kultusminister glaubt, Brennglas in der Falle zu haben: Entweder Adele unterschreibt einen Vertrag mit dem Königlichen Schauspielhaus, wodurch die Ehe für den Demokraten kompromittierend werden würde, oder er verhaftet Brennglas. Mit eben dieser Haftandrohung zwingt er Adele zur Unterschrift. Am Ende jedoch werden die Reaktionäre kompromittiert und Adele ist mit Brennglas glücklich vereint. (Quelle: „Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg – DEFA-Spielfilme 1946-1992“)
1849, Brennglas ist, wie es im Programmheft zum Film heißt, „gerade auf dem Wege von Leipzig, wo er bei Reclam illegale Schriften hat drucken lassen, nach Berlin“. Glaßbrenners Beziehung zu Reclam beruht auf Tatsachen. Der Verleger hat in den Jahren 1839, 1841, 1848 und 1849 Schriften Glaßbrenners veröffentlicht, darunter auch 1848 die im Filmprogramm erwähnte politisch-humoristische Zeitung „Freie Blätter“ mit der falschen Ortsangabe Berlin.
Reclams Verlag ist zwar wie erwähnt nicht mehr in Leipzig ansässig, dafür wurde aber am 24. Oktober 2018 gegenüber dem historischen Verlagsgebäude in der Kreuzstraße 12 das Reclam-Museum eröffnet. Das im Untergeschoss eines Geschäftshauses befindliche Museum beherbergt auf einer Fläche von etwa 50 Quadratmetern eine Ausstellung und eine Bibliothek mit dem Schwerpunkt Reclams Universal-Bibliothek. Ein Höhepunkt der Ausstellung ist der funktionstüchtige Nachbau eines historischen Bücherautomaten, eine Dauerleihgabe des Verlagshauses Reclam.
Herzlichen Dank an Filmfreund Jens für diesen Beitrag!