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Drei alte Leipziger Wahrzeichen

Drei alte Wahrzeichen

Neben dem Hufeisen an der Nikolaikirche zählt Dr. Paul Zinck in seinen „Leipziger Sagen“ (1924) weitere Sehenswürdigkeiten auf. Wir zitieren: „Ein andres Wahrzeichen, das jedenfalls auch Jahrhunderte alt ist, wenn es auch nicht so sagenumwoben und von so allgemeiner Bedeutung gewesen ist, sehen wir ebenfalls jetzt noch in dem Eckhause am Brühl und der Plauenschen Gasse – des früheren Hallischen Pförtchens -, in dem heute die Sächsische Textilgesellschaft ihr Heim hat, über der Haustür: das Kind auf dem Apfel. Im Schlußsteine steht der kurze lateinische Spruch: omnia vanitas. In früheren Zeiten scheint es in der Gasse angebracht gewesen zu sein.

Seit den fünfziger Jahren des 18. Jahrhunderts hieß das Haus ‚Martin Leonhardscher Bierschank im Hallischen Pförtchen‘, der Wirt ’speiste‘ Fremde zu Meßzeiten, später war bis in die jüngste Zeit in dem Gebäude ein Kaffeehaus, zuletzt das ‚Café Geßwein‘, das irrtümlich als die Kaffeestube bezeichnet wurde, in der Goethe als Student mit dem Wirtstöchterlein Käthchen Schönkopf verkehrte. Vielleicht ist das ‚Kind auf dem Apfel‘ ein Wirtshauszeichen gewesen. Der Sage nach hat es freilich eine ganz andere Bedeutung. ‚Ein Knabe von guten Geistesgaben, der in der Gasse auf einen Apfel trat, soll sich dabei zu Tode gefallen haben.‘

Verschiedene der Wahrzeichen, die für die Handwerksburschen von Wichtigkeit waren, sind schon längst verschwunden. So hat schon Johann Jakob Vogel um 1700 ein solches nicht mehr gesehen, das das ‚Poenitere‘ oder ‚Pöntermännel‚ hieß und sich an der Nordwand der Paulinerkirche befand, an der früher die Grimmaische Straße näher vorüberging. Er erzählt uns aber darüber folgendes: ‚An gedachter Wand, wo jetzo das Leiterhäuslein gebauet ist, hat vorzeiten ein traurig und klägliches steinernes Bild, so man Poenitere genannt, eingemauret gestanden.‘

Nach einer Abbildung in seinem Geschichtsbuche zeigt es eine vollständig in eine Kutte oder einen Mantel eingehüllte menschliche Gestalt, von der nur das links gewendete bartlose Gesicht und die Hände an den kreuzweise vorn über den Leib zusammengefesselten Armen sichtbar werden, während die Füße von der unten die Sackform annehmenden Umhüllung umschlossen werden.

‚Dasselbige ist eines von den Leipzigischen Wahrzeichen gewesen, darnach die Durchreisenden sonderlich zu fragen pflegen, und haben etliche alte Leute, die um selbige Gegend gewohnet und es effters wollen gesehen haben, mir dasselbige beschrieben, daß es die Gestalt eines auff einem mit Moos bewachsenen Stein sitzenden Männlein gehabt, das den Arm unter den Kopf gehalten, als bereue es etwas … Nach der Zeit aber ist mir von einem guten Freunde ein gewisser Abdruck des Leipzigischen Poenitere mit diesen Umständen comuniciret worden, daß es einer Elle und anderthalb Viertel hoch und dessen Gestalt, wie der Augenschein giebet (…) gewesen.

Dieses Bild der Reue sagen einige, wäre denen Banqrottirern zu Spotte, andere schreiben, denen armen Sündern und Malefitz-Personen zur Bereuung ihrer Sünden und Erinnerung der Busse aufgerichtet worden. Welches letztere denn der Wahrheit ähnlicher zu seyn scheinet. Allermassen dieses Bußbild nicht allein nahe an dem damaligen Ausgang des Grimmaischen Thores gestanden (durch das der Weg zur Hinrichtungsstätte, dem Rabensteinplatze zwischen Dresdner Straße und Täubchenweg führte), sondern es ist auch im Papstthum der Gebrauch allhier gewesen, daß man mit dem armen Sünder am gedachten Thore stille gestanden, da denn ein Dominicaner=Mönch aus dem Kloster herausgekommen und die zur Execution geführte Person der Reue über seine begangene Sünde zu haben erinnert und darauf absolviret. Mehr gedachtes Bild ist nachgehend Anno 1637 bey Veränderung des Thores mit abgebrochen und nicht wieder aufgesetzet worden.‘

Ein weiteres Wahrzeichen ist der Eselsbrunnen auf dem Eselsplatz am Ranstädter Tor – vor der alten Angermühle – gewesen, der wohl 1584 zum ersten Male erwähnt wird. ‚In einem Bogen der steinernen Fassung dieses Brunnens war ein Esel eingehauen, unter dem der Vers stand: Von Alters her vielen bekandt, / Wird diß der Eselsmarkt genannbt, / Und daß denselben nicht abgehen, / So siehstu hier ein Esel stehen.‘

Vogel weiß uns auch darüber etwas zu berichten: ‚Dieses in Stein gehauene Eselein hält insgemein der einfältige Mann vor ein Neben= und Wahrzeichen der Stadt, dar nach sonst reisende Handwerkspursche, wenn sie anhero kommen, fleißig zu sehen und dasselbige in Augenschein zu nehmen pflegen, erzehlen auch hiervon diese Legende: Es hätte einsten ein Eseltreiber seine beladene Esel in die Angermühle getrieben, von denen wäre einer in den damals offenen Brunnen gefallen, am Leibe unverletzt im Brunnen stehend und den Sack auff den Rücken behaltende gefunden, und also herausgezogen worden. Zu dessen Andencken hätte man bey Erbauung des Brunnens einen Esel mit einem Sack beladen zu oberst in Stein gehauen und diesen Brunnen den Esels=Brunnen genennet.‘

So wie wir fröhlich Zinck zitieren, bediente der sich seinerzeit bei Vogel, dessen Sprache uns mittlerweile Schwierigkeiten bereitet. Dafür wissen wir nun von drei alten Wahrzeichen, die wir bislang nicht kannten. Beim Eselsbrunnen denken wir sofort an unsere Nachbarstadt Halle. Dort steht einer und wird wie sein Leipziger Pendant von Sagen aus alter und neuer Zeit umrankt. So wurde Anfang 2015 dem hallischen Esel zuerst der Schwanz abgesägt, ehe Unbekannte wenige Wochen später den Versuch unternahmen, die ganze Figurengruppe zu entwenden (siehe Wikipedia unter „Eseslsbrunnen (Halle)“), Stoff für Legenden.

Eine Abbildung des Pöntermännels ist u.a. auf www.scharfrichter-sachsen.de zu finden sowie in dem auf Google einsehbaren Buch Dr. Wilhelm Schäfers „Deutsche Städtewahrzeichen – Ihre Entstehung, Geschichte und Deutung“ Band 1 (1858), in dem es ausführlich auch um Leipzig geht. Außerdem scheint es hierzulande ein Sprichwort gegeben zu haben: „Du machst ein Gesicht wie’s Pöntermännel …“

Was aber, fragen wir uns, könnten heutzutage versteckte Leipziger Wahrzeichen sein, Sachen, die sich Kenner und Handwerksburschen hinter vorgehaltener Hand zuraunen? Über ungewöhnlichen Bauschmuck verfügen wir in unserer Stadt ja in Hülle und Fülle. Wir schlagen einstweilen den Kaiser Maximilian in der Universitätsstraße, die Elefantenköpfe am Riquethaus und den Märchenbrunnen am Dittrichring vor.

Über Facebook sind weitere Anregungen eingegangen. So bringt Eberhard den Merkur am Romanushaus ins Gespräch sowie das von 1535 stammende Spottbild Papst, Kaiser und Luther im Innenhof des Fregehauses (Katharinenstraße 11) und Norbert das Schinkeltor („Zwar jetzt besser präsentiert als früher aber irgendwie noch unbekannt …“), während Katrin schreibt: „Das Hauszeichen Das Goldene Schiff** befand sich ursprünglich am Haus der Großen Fleischergasse 12, was es leider nicht mehr gibt. Heute ist es an der Kleinen Fleischergasse 6 (Lerchennest) angebracht.“ Herzlichen Dank! Und Veikko ergänzt unsere Aufzählung um den Grönländer*** – auch sehr gut!

* Abb. aus Friedrich Schulzes „Alt-Leipzig – Ein Führer zu den baugeschichtlichen Resten der Stadt“ (Verlag H. Haessel, 1927, 4. Auflage – Reprint von 1990)
** siehe unseren Beitrag „Freimaurerei in Leipzig“ (März 2022)
*** siehe unsere Beiträge „Der Grönländer, Teil 1 und 2“ (September 2019)