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Durch Leipzigs alte Gassen

Durch Leipzigs alte Gassen

„Alte Straßennamen Leipzigs“ ist ein Beitrag im Leipziger Kalender für 1910 überschrieben, er stammt von Max Kohlmann aus Möckern. Wir zitieren: „Wenn heutzutage in Leipzig eine neue Straße angelegt wird, erhält sie in 90 von 100 Fällen den Namen eines bekannten Mannes (Südviertel). Selten benennt man sie nach dem Ziel, dem Endpunkte (Rosentalgasse) oder nach einem wichtigen oder auffallenden Gebäude (Rathausring). In früher Zeit, als die Straßennamen aus dem Volke erwuchsen, war gerade das Gegenteil der Fall. Von alten Straßen finden wir nur zwei, die nach einer für die Stadt wichtigen Person genannt sind: das Preußer- und das Goldhahngäßchen*.

Ersteres erinnert an den Leipziger Bürger Wolfgang Preußer, der im Jahre 1548 starb und dem außer vielen in dem Gäßchen stehenden Häusern auch noch andere Grundstücke in Leipzig (der Rat kaufte z.B. 1544 von den Preußern ‚die alte Burg‘) und mehrere Rittergüter gehörten. Die Familie Preußer verschwindet gegen 1680 in Leipzig. – Das Goldhahngäßchen, im 16. Jahrhundert erbaut, hat seinen Namen von dem reichen Christian Goldhahn, auch einem Leipziger Bürger, dessen eine Tochter mit dem kurfürstlichen Kanzler Barth verheiratet war.“

„Im Mittelalter war es … zum Teil Sitte, zum Teil Gesetz, daß die Angehörigen eines Gewerbes oder Handwerkes sich in einer Straße ansiedelten. So wohnten die Böttcher im Böttchergäßchen (eigentlich ‚der Böttcher Gäßchen‘), die Schuhmacher im Schuhmachergäßchen (Schustergäßchen), die Salzverkäufer (der Salzhandel war damals Monopol) im Salzgäßchen, die ‚Fleischhauer‘ in der Fleischergasse. Im Gewandgäßchen hatten die Gewandschneider ihren Sitz, während im Sporergäßchen die Sporen- und im Kupfergäßchen die Kupferschmiede ihr lärmendes Handwerk trieben und die Töpfer in der Töpferstraße emsig an der Drehscheibe saßen.

Um nicht die Einwohner durch den mit dem Gerben der Fälle stets verbundenen schlechten Geruch zu belästigen, kauften die Lohgerber 1510 ‚zu besserem Betriebe ihres Handwerkes‘ 18 Acker Wiese an der Parthe, rechts von der heutigen Gerberstraße. Auch die Färberstraße finden wir außerhalb der inneren Stadt.“

„So führte die Burg- und die Schloßgasse nach ‚Schloss Pleißenburg‘, die Nikolaistraße nach derb Nikolaikirche, die Kloster- und die Thomasgase nach der Thomaskirche, eigentlich nach dem Thomaskloster, wegen dessen Erbauung Leipzig mit Dietrich dem Bedrängten 1214 in eine Fehde geriet. Im Thomaskloster befand sich die 1254 zum ersten Mal erwähnte Thomasschule, deren Zugang die Schulstraße bildete. Am Ende der Petersstraße erhob sich die Peterskirche (vielleicht die älteste, 1017 erwähnte Kirche Leipzigs), nach der auch der Peterskirchhof seinen Namen erhalten hat.

Hier finden wir die eigentümliche Erscheinung, daß eine Straße den Namen ‚Kirchhof‘ führt, während sich die Kirche an einem andern Platze befindet. Die alte Peterskirche, 1507 von neuem erbaut, nach der Reformation 160 Jahre lang verschlossen, 1710 wieder hergestellt, wurde 1886 abgebrochen, nachdem am 27. Dezember 1885 die neue Peterskirche am Schletterplatze eingeweiht worden war.

Der Ausdruck ‚Kirchhof‘, den wir noch in Nikolai-, Thomas- und Matthäikirchhof finden, weist darauf hin, daß die Plätze um die Kirchen früher wirklich als Begräbnisplätze dienten (im Sprachgebrauch ist wohl Kirchhof und Begräbnisort gleichbedeutend), bis 1536 der Johannisfriedhof (der ‚alte‘ natürlich) als einziger Begräbnisplatz bestimmt wurde. Das erwähnte Thomaskloster der Augustiner war nicht die einzige geistliche Niederlassung in Leipzig: die Franziskaner gründeten im 13. Jahrhundert das Barfüßerkloster, zu dem das Barfußgäßchen führte.“

„In der Magazingasse stand das 1523-1529 erbaute Stadtmagazin oder Kornhaus, ein steinernes, sechs Stockwerke hohes, mit dem Giebel an die alte Peterskirche gebautes Gebäude, dessen Fenster mit eisernen Läden versehen waren. Es war also – namentlich für mittelalterliche Anschauungen – ein ziemlich feuersicheres Haus, in dessen oberen Stockwerken Getreide (für Kriegsgefahr, Belagerung, Hungersnot!) aufbewahrt wurde, während in den unteren Baumaterialien, Kohlen und andere notwendige Bedürfnisse lagerten.“

* das Goldhahngässchen wurde nach dem Krieg überbaut, es hatte unseren Großeltern zufolge einen zwie- bzw. rotlichtigen Ruf gehabt