Während in allen Schreibwaren- und Bücherladen derzeit Kalender für 2025 über die Tische gehen, leisteten wir uns bei Bachmann im Alten Rathaus ein Exemplar von 1910. Freudig blätterten wir darin und machten eine Entdeckung nach der anderen, Abbildungen vom Hochwasser in Schleußig z.B., vom Winter in Alt-Connewitz oder von Johannes Pfeffinger, nach dem in besagtem Connewitz eine Straße benannt wurde. Pfeffinger, im Kalender gezeichnet von Erich Gruner, war „der erste lutherische Superintendent“ unserer Stadt. Er „konvertierte 1521 als Kaplan, studierte 1523 bei Luther und Melanchthon in Wittenberg, war dann seit 1527 Pfarrer in Sonnenwalde, Eiche und Belgern, von da 1540 nach Leipzig, wo seit Pfingsten 1539 die Reformation eingeführt war“.
Der Beitrag „Das verhagelte Leipzig“, welcher mit A. Deiningers Fotografien vom überschwemmten Schleußig illustriert ist, nimmt das Unwetter in der Nacht vom 9. auf den 10. August 1909 zum Anlass, um an die vom 22. Mai 1908 sowie vom 27. August 1860 zu erinnern. „Unsere Ebene, über die der Sturm und die Wolken rasch dahinfegen, hat verhältnismäßig selten unter schweren Gewittern oder starken Hagelschäden zu leiden. Zwischen 1585 und 1706 sind in unsern Chroniken nur fünf große Hagelwetter in ziemlich regelmäßigen Abständen von 20 bis 30 Jahren verzeichnet“, schreibt Dr. Ernst Kroker. Anschließend zitiert er ausführlich aus alten Berichten – „Die Stadt sah aus wie nach einer Beschießung: die Dächer zertrümmert und an vielen Stellen gänzlich abgedeckt, die Fenster auf der Wetterseite fast sämtlich zerschlagen“ (1860) – und geht nicht weiter auf den Hagel von 1909 ein.
Im Artikel „Gohlis zu Schillers Zeit“ führt Dr. Otto Hummel u.a. aus, dass Schillers Wohnung dort „aus einem Dachstübchen mit kleiner Kammer“ bestand. „Die weißgetünchten Räume waren mit den notdürftigsten Möbeln, einem Tisch, einigen Stühlen und einem Spiegel ausgestattet.“ Über den bis heute verehrten Dichter erfahren wir aber auch folgendes Detail: „Mittags speiste er mit seinen Freunden meist in der Wasserschänke.“ Und in deren Garten ließ ein Vertreter der bekannten Leipziger Familie Felsche einen Schillerstein mit einer Plakette von Carl Seffner stellen. Die Wasserschänke bzw. -schenke befand sich ungefähr auf dem Gelände der heutigen Wohnanlage Schokoladenpalais*, ob der Stein dort noch steht, müssten wir prüfen.
Natürlich wird in einem Leipziger Kalender auch Goethe erwähnt! „Mit Schmerz aber muß des Abbruchs gedacht werden, dem inzwischen eins der ältesten und interessantesten Häuser am Brühl verfallen ist, der Goldene Apfel. Möge er, da er nicht zu retten war, als ein neuer Phönix aus dem Schutt wieder emporsteigen, oder als ein Kind unserer, der neuen Zeit, nämlich des zwanzigsten Jahrhunderts. Mit seinem Erker, der Jung-Goethe so oft aus dem Nachbarhaus kommen sah, in jeder Stimmung, in jeder Laune des in das liebliche Ännchen Verliebten, mit seinen altertümlichen Toren, mit den kühnen dreifachen Volutengiebeln, dem steilen Dach, den hoch aufgetürmten eigenwilligen Fenstern wird es als eines der malerischsten Bilder des Brühl immer in unserer Erinnerung leben.“ Wenn uns nicht alles täuscht, hält eine Tafel an den Höfen am Brühl diese Erinnerung wach.
Von Goethe zu Meyer: „… am 13. März 1909 (starb) der Seniorchef des Bibliographischen Institutes, Verlagsbuchhändler Julius Herrmann Meyer, 82 Jahre alt … Er hat sich ein unschätzbares Verdienst um das Wohl der Stadt Leipzig besonders durch die Gründung der Stiftung für Erbauung billiger Wohnungen erworben. Im Beginn der neunziger Jahr begann er mit der unter dem Namen Meyersche Häuser bekannten Kolonie in Lindenau. Im Jahre 1908 besaß die Stiftung 165 Wohnhäuser mit 1484 Wohnungen und beherbergte rund 6000 Menschen. Auch hinterließ er 1 000 000 Mark zu gleichen wohltätigen Zwecken.“ Ein erstaunlicher Mann und schöne Häuser!
Es gab jedoch auch häßliche Exemplare. „Draußen, wo die Großstadt mit einem ihrer hundert Arme in die schwarze Ackererde hineingreift, stand das häßliche Haus.“ Mit diesen Worten beginnt Rudolf Dietrich seine Erzählung „Das große häßliche Haus“, in der er einen jungen Maler, also einen fortschrittlichen Ästheten, mit Gründerzeitgebäuden abrechnen lässt. „Unmotivierte Verzierungen“, moniert der Mann, „übermäßig entwickelte Gesimse“, vor allem aber „zwölf Gipstafeln mit demselben furchtbaren Ritterkopf“. Doch genau in dieses Haus muss der junge Künstler kurz darauf einziehen, mit seiner Braut, die die Sache der Wohnungsnot zum Trotz gedeichselt hatte.
Auf jeder Seite des alten Kalenders finden wir Neues, Wissens-, Lesens- und Sehenswertes, so das Original-Modell des Froschbrunnens vom Rabensteinplatz**, einen Blick aus dem seinerzeit hölzernen Rosentalturm in Richtung Möckern oder das Schwimmbad der Maschinenfabrik Karl Krause in Anger-Crottendorf. Und da haben wir noch nicht von Leipziger Straßennamen, dem Turngau des Leipziger Schlachtfeldes*** oder den vielen aufschlussreichen Anzeigen angefangen. Aber das holen wir nach!
Der Leipziger Kalender, ein illustriertes Jahrbuch mit Chronik, erschien 1910 im 7. Jahrgang im Verlag von Fr. Richter, Leipzig, herausgegeben worden war er von Georg Merseburger.
* Danke, Wolfgang vom Arbeitskreis Gohliser Geschichte!
** siehe unseren Beitrag „Rabe, Frosch und Hochgericht“ (Mai 2018)
*** siehe unseren Beitrag „Die Sieben von der Turnhalle“ (März 2023)