Der mittlerweile in Zeitz lebende Schriftsteller Michael Schweßinger („In Darkest Leipzig“) und der Schleußiger Fotograf Marcel Schreiter (Kirschbaum Pictures) waren in Bukarest und haben in der Edition Outbird ein Buch darüber herausgebracht. Wir haben es immerhin bis nach Schönefeld geschafft und dort gegenüber von Schule und Friedhof rumänische Lebensmittel eingekauft (Magazin Alimentar). Anschließend sprachen wir mit Michael über Bukarest und Leipzig.
„Ich kenne keine Stadt, die in dieser maximalen Amplitude zwischen Tagchaos und Nachtruhe existiert“, schreibst Du über Bukarest. Wann und wie lange bist Du dort gewesen?
Ich bekam Ende 2013 das Angebot, eine Handwerksbäckerei mit deutschem Produktportfolio in Aviatiei, im Norden von Bukarest, aufzubauen. Mitte 2016 ging ich dann nach Andalusien, weil die rumänische Bäckerei gut am Markt war und die Bäcker und Bäckerinnen einen super Job machten. Ich komme auch jetzt noch so ein oder zweimal im Jahr vorbei und wir besprechen noch einige Details oder überlegen uns neue Produkte, aber die Bäckerei hat mittlerweile fünf Filialen und läuft komplett kostendeckend. Da freue ich mich dann, dass ich überflüssig geworden bin.
„Sozialistische Blocks, unsanierter Jugendstil, daneben eine Shopping-Mall“, lesen wir und denken, das scheint uns doch vertraut zu sein. Sind Dir als studiertem Völkerkundler Gemeinsamkeiten zwischen Leipzig und Bukarest aufgefallen?
Die Vergleiche sind immer etwas schwierig, weil es da verschiedene Dynamiken gibt, alleine schon durch die unterschiedliche Größe und die stetigen Anreize von Exilrumänen aus den europäischen Hauptstädten, was Trends betrifft. Bukarest ist auf der einen Seite hypermodern und dynamisch, auf der anderen Seite auch sehr langsam und „unmodern“, wenn man so will. Vielleicht eine der Städte, über die man auch immer das Gegenteil sagen kann, ohne falsch zu liegen. Eine großartige Ambiguität und Ungewissheit. Wir hätten auch eine gegenteilige Welt voller Hochglanz beschreiben können, die genauso wahr gewesen wäre. Mich interessieren beim Schreiben die Bruchstellen immer mehr als der Glanz. Das ging mir schon in Lindenau bei „In Darkest Leipzig“ so. Dass ich mit Marcel Schreiter, mit dem ich schon über den Seemann des Leipziger Westens gedreht hatte, dann in Bukarest wieder zusammengetroffen bin, passte auch irgendwie. Wir haben beide einen recht speziellen Blick, der immer ganz gut harmoniert, ohne dass sich Bild und Wort erdrücken. Was beiden Städten gemein ist, ist das Konturenreiche, dieser postsozialistische Umbruch. Es sind keine fertigen Städte, sondern Städte, die sich stetig reiben. In Rumänien sind diese Umbrüche natürlich wesentlich härter. An schlechten Tagen erschien mir Bukarest oftmals als eine Art dystopische Vollendung des Kapitalismus, so eine Art Blade-Runner-Feeling. Joy Division auf die Ohren und durch die Stadt laufen – das harmonierte immer hervorragend.
War Marcel, der Fotograf aus Leipzig, zufällig zur gleichen Zeit wie Du in Bukarest?
Ja, Marcel war 2015 in Bukarest und drehte mit Ruxandra Gubernat „Portavoce“, einen Film über die aufkommende rumänische Protestkultur, die sich schon in Folge der Umweltzerstörung durch einen kanadischen Bergbaukonzern in Roșia Montană herausgebildet hatte, aber nach dem verheerenden Brand im Nachtclub Colektiv im Oktober 2015 noch einmal neuen Zulauf bekam. Vor allem die jüngere Generation hatte die Schnauze voll von der allgegenwärtigen Korruption und dem Nepotismus. Einige der Opfer des Unglücks starben nicht an den direkten Brandverletzungen, sondern weil die Desinfektionsmittel in den Krankenhäusern verdünnt waren. Diese Tragödie hallte lange nach. Auch der diesjährige rumänische Oscar-Beitrag „Colektiv“ von Alexander Nanau nähert sich dem Thema und beleuchtet die Rolle der investigativen Journalisten der Gazeta Sporturilor, die diesen Skandal aufdeckten. Auch hier ließ mich Bukarest immer mit einer großen Amibvalenz zurück. auf der einen Seite die Korruption, auf der anderen Seite die mutige Zivilgesellschaft, die sich nicht einschüchtern ließ.
Was machst Du zuerst, wenn Du in eine Dir unbekannte Stadt kommst? Wie erschließt Du Dir die Fremde?
Ich versuche mir die Fremde, solange es geht, nicht einzuverleiben. „Es ist nicht leicht, neue Fremde zu finden“, beginnt einer meiner Texte zu diesem Bildband. Ich mag die Differenz, die Furche, die sich auftut, weil sich mein Schreiben aus dieser Uneindeutigkeit speist. Ich bin mir selbst nicht gewiss. Zwei Fremde, die sich begegnen. Ich achte beim Reisen sehr auf die ersten Eindrücke, weil die flirrende Aufmerksamkeit zu Beginn am höchsten ist, wie bei der Liebe. Ich glaube, es gibt einen speziellen Punkt gleich zu Beginn einer Reise, der dir eine intuitive naive Wahrnehmung zuteilwerden lässt, die durch zunehmende Gewohnheit verblasst und sich viel später dann wieder durch Erkenntnis einstellt. Ich hatte immer das Gefühl, diesen Gedanken bei T.S. Eliot wiederzufinden. „And the end of all our exploring / Will be to arrive where we started / And know the place for the first time.“
Hast Du in Leipzig eigentlich auch als Bäcker gearbeitet?
Ja, ich hatte in Leipzig bis 2012 als Bäcker gearbeitet. War ’ne kleine Bio-Bäckerei, die im Konsumgebäude in Leipziger Westen ihre Backstube hatte. Ziemlich wilde Zeit. Nachts in der Backstube, dann hatten wir unseren Verlag, die Edition PaperONE, und um diese Zeit war Leipzig auch so spannend, dass es fast jeden Abend eine Lesung oder Veranstaltung gab. Also, das waren so Jahre, wo Schlaf ein Fremdwort war, von der Kneipe an den Ofen gewissermaßen. Das geht nicht ewig gut, 2012 hat es mir dann auch derb die Füße weggezogen. Ich musste einen Cut machen und bin dann erstmal nach Südirland gegangen, wo ich gebacken und den Schafen beim Grasen zugeschaut hab.
Der Autor: www.michaelschwessinger.de
Der Fotograf: www.kirschbaum-pictures.de (inkl. „Vom östlichen Rande“)
Der Verlag: www.edition-outbird.de
Der Lindenauer Käpt’n: www.youtube.com/watch?v=ZvHuWvuxhNo