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Vorwärts Gohlis

Vorwärts Gohlis

Dank Eva und Hans-Werner können wir ausführlich in der Broschüre „Gohlis – Aus der Geschichte eines Leipziger Vorortes“ blättern. Willy Ebert hatte sie 1926 herausgegeben – anlässlich des 60jährigen Bestehens des gemeinnützigen Vereins Vorwärts. Dieser war am 18. Februar 1866 im Albrechtschen Lokale von Heinrich Hecht und dessen Freunden ins Leben gerufen worden, „zur Wahrung und Förderung der Gohliser Gemeindeinteressen“.

Der Bezug zu den „arbeitenden Klassen“ und August Bebel wurde betont, ebenso der „Geist des Fortschritts“, denoch wandte sich der Gohliser Verein nach Gründung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei 1869 nicht jener, sondern dem Genossenschaftler Schulze-Delitzsch zu. Die „Verbreitung von Volksbildung“ war oberster Grundsatz der Vorwärtsstrebenden, Vorträge, Führungen und Wanderfahrten galten als geeignetes Mittel dafür, genauso wie Theater-, Film- und Tonkunstabende.

Chöre, die jeweils örtliche Sparkasse und Bibliothek sowie der Konsumverein entstanden auf Anregung der Hechttruppe, die vor allem in den ersten Jahren einen Gegenpol zu den bis dahin dominierenden Grundbesitzern bildete – 1866 gab es in Gohlis acht größere Güter. In den 1840ern, so Willy Ebert, sei das Gelände nördlich der Dorfstraße (Menckestraße) zu Bauzwecken freigegeben worden, neue schmale Straßen entstanden, „Gewerbetreibende und Arbeiterfamilien errichteten hier ihre Häuschen“.

Wir lesen von alten und neueren Straßennamen: Gartenstraße (Berggartenstraße), Böttcherstraße (Lindenthaler Straße), Mittelstraße (Knaurstraße), Sackgasse (Endnerstraße), Lindenstraße (Schillerweg) und Brüderstraße (Lüderstraße). Lüder Mencke (1658-1726) ist demnach Namensgeber zweier Gohliser Straßen, er war Professor an der hiesigen Universität und Gutsbesitzer im Vorort.

Weiterhin lesen wir vom ersten Geschäft mit Schaufenster in Gohlis! Es gehörte Nadlermeister Großmann und bestand von 1862 an – Eva kennt es noch von Stadtteilrundgängen im Heimatkundeunterricht während der 1950er Jahre, mittlerweile jedoch gibt es das kleine Haus an der Ecke von Berggarten- und Knaurstraße nicht mehr (dafür ein neues).

Auf dem Boden der Wasserschänke (Menckestraße) siedelte sich in den 1870er Jahren Felsches Fabrik für Kakao- und Schokoladenherstellung an und etwas weiter nördlich die Gohliser Aktienbierbrauerei (Hallische bzw. Georg-Schumann-Straße), in deren Braustübel der Verbrechertisch stand. An dem trafen sich verurteilte Beteiligte des niedergeschlagenen Volksaufstandes von 1848/49. „Diese Männer“, so Willy Ebert, „die erst nach vielen Jahren, nach unendlichen Leiden und harter Kerkerhaft in das bürgerliche Leben ihrer Heimat zurückkehrten, fanden sich dann in ihren Wohnorten meist gesellig zusammen. um ihre Erinnerungen gegenseitig auszutauschen“, beginnend 1856 und zunächst in der Guten Quelle von Vater „Grun“.

„Die Mitglieder des Verbrechertisches teilten sich in sogenannte ’seßhafte‘ (solche, die wirklich gesessen hatten) und ‚zugelassene‘ Mitglieder … Der denkwürdige Tisch hat ein wechselvolles Schicksal gehabt. Seit zwei Jahrzehnten* befindet er sich im Ausschank der Gohliser Brauerei (Braustübel), und Bürger aus Gohlis versammeln sich dort an den Abenden, um die Neuigkeiten des Tages zu besprechen.“

* aus Sicht des 1926 veröffentlichten Buches
** Abb. aus „Gohlis – Aus der Geschichte eines Leipziger Vorortes“ von Willy Ebert, Leipzig 1926