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Bahnhöfe zu verkaufen

Bahnhöfe zu verkaufen

„In allen Ecken des Landes stehen Bahnhöfe zum Verkauf. Rund 1700 Empfangsgebäude hat die Deutsche Bahn AG in den vergangenen Jahren schon veräußert, weitere 700 sollen folgen. Doch das Angebot an Bahnimmobilien dürfte noch viel größer sein: Allein der britische Finanzinvestor Patron Capital erwarb von der Deutschen Bahn rund 1000 Bahnhöfe und sucht seither über seine deutsche Tochter Main Asset Management GmbH nach Käufern für viele der oft maroden Gebäude.“ Das teilte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) am 25.07.2012 in ihrem Beitrag „Letzter Halt Zuhause“ mit.

Im Artikel „Wartehallen der Hoffnung“ in der FAZ vom 26.05.2012 hieß es über ein Bahnhofsgebäude: „Noch befindet sich das Anwesen im Eigentum einer luxemburgischen Gesellschaft, hinter der die in Großbritannien registrierte Patron Capital steht. Das Unternehmen kaufte in den vergangenen Jahren in mehreren Paketen Hunderte deutscher Bahnhöfe auf. Am Ende befanden sich mehr als 1000 dieser Immobilien im Besitz von Patron Capital, deren deutsche Tochter Main Asset Management für die Verwaltung und Vermarktung der Objekte zuständig ist.“

Schilder, Zettel oder Aushänge der Main Asset Management hängen bzw. kleben auch an einigen (verlassenen) Bahnhöfen in Leipzig, zum Beispiel in Knauthain, Miltitz und Plagwitz. Der Bahnhof in Wiederitzsch gehört laut einer Auskunft der Deutsche-Bahn-Pressestelle vom März dieses Jahres (2012) der luxemburgischen Gesellschaft Patron Dieter S.a.r.l. (S.a.r.l. = französisch für GmbH). Wir fragten damals auch: Welche Bahnhofsgebäude im Stadtgebiet von Leipzig werden als Bahnhöfe weiterbetrieben? Antwort: Leipzig Hbf (Betreiber ist die ECE). Das ist nicht viel – und schade um die vielen stattlichen, einst gastlichen und oft baulich interessanten Gebäude, die mal Bahnhöfe waren.

Den Leutzscher Bahnhof ziert ein Schild des Unternehmens Sitex Orbis, das u.a. Leerstandssicherung anbietet. „Ob Wohn- oder Gewerbeimmobilie, Schule, Kultur- oder Sozialeinrichtung – zeitweiliger Leerstand ist eine durchaus normale Erscheinung. Während des temporären Stillstandes sind die Objekte aber oftmals gar nicht oder nur mangelhaft gesichert. Dadurch sind sie schutzlos kriminellen oder fahrlässigen Einwirkungen ausgesetzt. Häufig kommt es zu ernsten Fällen von Vandalismus, Einbruch, Diebstahl, unbefugter Nutzung, Brandstiftung sowie Unfällen durch Abenteuer suchende Kinder und Jugendliche. Die VPSitex Deutschland GmbH bietet Ihnen ggf. nach einer Sicherheitsanalyse den nötigen Schutz für leergezogene Objekte, dass solche Probleme nicht zu Ihren werden“, lesen wir auf dessen Internetseite www.sitexorbis.de und wundern uns darüber, dass Bahnhöfe in Leipzig leerstehen.

Unter der Überschrift „Bahnhöfe kommen unter den Hammer“ weist die Leipziger Volkszeitung am 24.11.2012 auf eine Grundstücksauktion hin, bei der auch die Bahnhofsgebäude in Thekla und Paunsdorf versteigert werden sollen. „Zu beiden Objekten gehören rund 1200 Quadratmeter Fläche, die Einstiegsgebote liegen deutlich unter 10000 Euro“, heißt es da.

Eine weitere Auktion wird von der LVZ am 20.02.2013 vermeldet („Immobilienboom gibt Messe Schub“): „Wer den alten Bahnhof von Taucha aus dem Jahr 1900 ersteigern will, muss mindestens 12000 Euro bieten, den Bahnhof von Bad Lausick, ebenfalls von 1900, gibt es schon ab 7000 Euro.“ Am 21.02.2013 berichtet die Zeitung von Angela und Matthias Frank, die seit 1975 die Gaststätte im Bahnhof Taucha betreiben und Ende März Schluss machen werden („Als es hieß, die in Luxemburg sitzenden Eigentümer wollen den Pachtvertrag für das Lokal nicht verlängern, kürzte Frank das Prozedere ab und kündigte selbst.“) „Das Tauchaer Bahnhofsgebäude hat samt Güterschuppen und Nebenflächen einen neuen Besitzer gefunden“ – im Rahmen der angekündigten Versteigerung für letztendlich 51.000 Euro (LVZ, 25.02.2013).

Nachtrag am 31.08.2013: Laut LVZ sind erneut „Bahnhöfe unterm Hammer“, u.a. der denkmalgeschützte in Liebertwolkwitz, 130 Jahre alt, Preisvorstellung: „Minimum 59000 Euro“. Sowie Markkleeberg-West: „Mindestgebot … 32000 Euro“.

Nachtrag am 07.09.2013: Heute lesen wir in der LVZ: „Zur Sanierung von Bahnhöfen und Bahnbrücken stehen bis ins kommende Jahr 500 Millionen Euro mehr bereit als bisher geplant. Der Bund stockt seine Mittel zum Erhalt des Gleisnetzes von jährlich 2,5 Milliarden Euro für 2013 und 2014 um je 250 Millionen Euro auf.“ Um welche Bahnhöfe geht es da?

Nachtrag am 21.10.2014: „Tauchas Bahnhof ist plötzlich ein Denkmal“ überschreibt die LVZ heute einen großen Beitrag, in dem der neue Besitzer dazu sagt: „Wenn ich das vorher gewusst hätte, hätten wir den Bahnhof nicht ersteigert.“ Der 1874 errichtete „Klinkerbau im Schweizerstil“ sei ein „wichtiges Zeugnis der Ortsentwicklungsgeschichte“, erfahren wir. Außerdem wird ein Mitarbeiter des sächsischen Landesamtes für Denkmalpflege mit folgenden Worten zitiert: „Wir haben schon so viele Bahnhöfe als bedeutende Bauten verloren.“ Stimmt! Schuld daran dürfte die Bahn sein und mit ihr als deren Eigentümer der Staat. Es gibt noch eine Reihe von Bahnhöfen in Leipzig, die mit dem Tauchaer vergleichbar sind …

Nachtrag am 18.08.2017: Unter der Schlagzeile „Schlafen im Stellwerk“ sorgt heute die Süddeutsche Zeitung für Erhellung, indem sie das Motiv der Deutschen Bahn benennt: „Fokus bei den Verkäufen sei es, wirtschaftliche und andere Risiken für die Bahn zu reduzieren, sagt ein Sprecher. Heißt im Klartext: Die Bahn will vor allem verhindern, dass die nicht mehr benötigten Gebäude weiter Geld kosten.“

Nachtrag am 12.07.2022: „Verkaufsstopp bei Bahnhofsgebäuden“ ist heute eine Kurzmeldung in der LVZ überschrieben. „Die Deutsche Bahn will ihre eigenen Bahnhofsgebäude nun doch nicht verkaufen. Bahnhöfe müssten ‚freundlich und einladend sein. Deshalb stoppen wir den Verkauf unserer Empfangsgebäude‘, teilte der neue Infrastrukturvorstand des Konzerns, Berthold Huber, mit.“ Hätte man diese Erkenntnis nicht auch vor zehn, 15 Jahren haben können? Unzählige Bahnhöfe sind mittlerweile verkauft …

(siehe dazu auch unsere Serie „Verlassene Bahnhöfe“, Schlagwort Bahnhof)